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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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davor. Ians Geschäfte und die ohnehin schwierige Ehe gingen den Bach hinunter. Er verbrachte die meiste Zeit an der Golfküste, wo er gemeinsam mit Partnern ein Einkaufszentrum renovierte. Das störte Ramona nicht im Geringsten, sie wollte ihn nicht im Haus haben. Sie sprach offen von Scheidung, zumindest Herschel gegenüber. Aber falls sie diesen Prozess verloren, säße sie vielleicht fest. Wir verlieren nicht, versicherte Herschel ihr immer wieder.
    Sie quälten sich bis halb acht durch die Unterlagen, dann erklärte Wade Lanier, er habe genug. Sie fuhren zu einem rustikalen Fischrestaurant mit Blick auf den Lake Chatulla und genossen ein ausgiebiges Mahl, nur die Anwälte und ihre Mandanten. Nach ein paar Drinks beruhigten sich die Nerven, und die Stimmung entspannte sich. Wie die meisten Prozessanwälte war Wade Lanier ein begnadeter Geschichtenerzähler, der sie mit Schilderungen seiner Gefechte vor Gericht zum Lachen brachte.
    »Wir gewinnen. Vertrauen Sie mir«, sagte er mehr als einmal.
    Lucien hatte einen Jack Daniel’s on the Rocks auf dem Nachttisch stehen und war wieder einmal in einen nur schwer verständlichen Faulkner-Roman vertieft, als in seinem Hotelzimmer das Telefon klingelte.
    »Spreche ich mit Mr. Wilbanks?«, fragte eine schwache Stimme.
    »Ja«, erwiderte Lucien, schloss leise das Buch und schwang die Füße auf den Boden.
    »Hier ist Lonny Clark, Mr. Wilbanks.«
    »Ich schlage vor, wir gehen zu Lucien und Lonny über.«
    »Einverstanden.«
    »Wie geht es Ihnen heute Abend, Lonny?«
    »Besser, viel besser. Sie waren letzte Nacht bei mir im Zimmer, stimmt’s, Lucien? Ich weiß, dass Sie da waren. Erst dachte ich, ich hätte geträumt, dass ein Fremder zu mir ins Zimmer kam und mit mir redete, aber heute habe ich Sie und Ihre Stimme erkannt.«
    »Ich fürchte, da haben Sie wirklich geträumt, Lonny.«
    »Nein, habe ich nicht. Die Nacht davor waren Sie nämlich auch da. Freitag- und Samstagnacht, das waren Sie. Ich weiß, dass Sie das waren.«
    »Niemand kommt in Ihr Zimmer, Lonny. Vor der Tür sitzt rund um die Uhr ein Polizeibeamter, soweit mir bekannt ist.«
    Lonny stutzte, als wäre ihm das neu und als müsste er überlegen, wie es ein Fremder trotzdem bis in sein Zimmer geschafft haben könnte.
    »Der Fremde sagte etwas über Sylvester Rinds«, fuhr er schließ lich fort. »Kennen Sie Sylvester Rinds, Lucien?«
    »Wo kommt der her?«, fragte Lucien und nippte lässig an seinem Glas.
    »Das frage ich Sie, Lucien. Kennen Sie Sylvester Rinds?«
    »Ich habe mein gesamtes Leben in Ford County verbracht, Lonny. Ich kenne jeden, ob weiß oder schwarz. Aber ich habe das Gefühl, dass Sylvester Rinds vor meiner Geburt verstorben ist. Kannten Sie ihn?«
    »Ich weiß nicht. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Und es ist so lange her …« Seine Stimme wurde immer leiser, als hätte er das Telefon fallen lassen.
    Lucien tat alles, um das Gespräch nicht abreißen zu lassen. »Ancil Hubbard interessiert mich viel mehr«, sagte er. »Sagt Ihnen der Name was, Lonny?«
    »Vielleicht«, lautete die schwache Erwiderung. »Können Sie morgen vorbeikommen?«
    »Selbstverständlich. Wann?«
    »Kommen Sie früh. Am Morgen bin ich nicht so müde.«
    »Um wie viel Uhr ist die Visite vorbei?«
    »Weiß nicht. Neun oder so.«
    »Ich bin um halb zehn da, Lonny.«

39
    Nevin Dark parkte seinen Pick-up mit der Nase zum Gerichtsgebäude und sah auf die Uhr. Er war früh dran, aber das war Absicht. Er war noch nie als Geschworener herangezogen worden und musste sich widerstrebend eingestehen, dass er ziemlich aufgeregt war. Er besaß westlich von Karaway eine achtzig Hektar große Farm und kam nur selten nach Clanton. Tatsächlich konnte er sich nicht erinnern, wann er zuletzt am Verwaltungssitz des County gewesen war. Zu diesem Anlass trug er seine neueste gestärkte Baumwollhose und eine Fliegerjacke aus Leder, ein Erbstück von seinem Vater, der im Zweiten Welt krieg Pilot gewesen war. Seine Frau hatte das Baumwollhemd mit dem geknöpften Kragen ordentlich gebügelt. Nevin warf sich nur selten so in Schale. Er blieb stehen und sah sich in der Umgebung des Gerichts nach anderen um, die eine Ladung in der Hand hielten.
    Über die Sache wusste er wenig. Der Bruder seiner Frau, ein Großmaul, hatte behauptet, bei dem Prozess gehe es um ein handschriftliches Testament, aber darüber hinaus war nicht viel bekannt. Nevin und seine Frau abonnierten keine der Lokalzeitungen. Sie waren seit zehn Jahren nicht in der

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