Die Erbin
beim Bier?« Jake nahm in einem voluminösen Ledersessel Platz.
»Wenn du meine Mandanten hättest, würdest du schon beim Frühstück anfangen zu trinken.«
»Aha, du etwa nicht?«
»Nicht montags. Wie geht’s Miss Carla?«
»Gut, danke, und wie geht’s Miss, äh, wie heißt sie noch?«
»Jane, du Schlaumeier, Jane Ellen Vonner, und ihr geht’s nicht nur gut mit mir, sondern sie scheint einen Haufen Spaß zu haben und sich über ihr Glück zu freuen. Endlich eine Frau, die mich versteht.« Er nahm eine Handvoll leuchtend rote Chips und stopfte sie sich in den Mund.
»Herzlichen Glückwunsch. Wann lerne ich sie mal kennen?«
»Wir sind seit zwei Jahren verheiratet.«
»Ich weiß, aber ich warte lieber noch ab, wie lange diesmal die Halbwertszeit ist.«
»Bist du etwa hergekommen, um mich zu beleidigen?«
»Natürlich nicht.« Und Jake meinte das ernst. Harry Rex zu verärgern wäre dumm. Der Mann wog zwar mindestens hundertdreißig Kilo und tappte wie ein alter Bär durch die Stadt, doch seine Zunge war immer noch erstaunlich flink und böse.
»Erzähl mir von Seth Hubbard«, bat Jake.
Als Harry Rex lachte, schossen klebrige Krümel aus seinem Mund quer über den Tisch. »Könnte kein übleres Arschloch ge troffen haben. Wieso fragst du mich?«
»Ozzie meinte, du hättest eine seiner Scheidungen abgewickelt.«
»Das stimmt, seine zweite, ist vielleicht zehn Jahre her, etwa zur selben Zeit, als du hier auftauchtest und anfingst, Anwalt zu spielen. Was hast du mit ihm zu tun?«
»Tja, bevor er sich umgebracht hat, hat er mir einen Brief und einen zweiseitigen Letzten Willen geschickt. Ist beides heute Morgen in meiner Post gewesen.«
Harry Rex nahm einen Schluck Bier und dachte mit ver engten Augen nach. »Bist du ihm schon mal begegnet?«
»Nie.«
»Glück gehabt. Du hast nichts verpasst.«
»Sprich nicht so über meinen Mandanten.«
»Was steht in dem Testament?«
»Darf ich dir nicht sagen. Und eröffnen darf ich es erst nach der Beerdigung.«
»Wer bekommt das Erbe?«
»Darf ich nicht sagen. Ich erzähle es dir am Mittwoch.«
»Ein zweiseitiges Testament, verfasst am Tag vor dem Selbstmord. Klingt in meinen Ohren nach einer Goldgrube. Das Verfahren wird mindestens fünf Jahre dauern.«
»Das hoffe ich.«
»Du wirst eine Weile beschäftigt sein.«
»Ich brauche das Mandat. Was gehörte denn dem guten Seth so alles?«
Harry Rex schüttelte den Kopf und griff zu seinem Sandwich. »Keine Ahnung«, sagte er und biss hinein. Die überwiegende Mehrheit von Jakes Freunden und Bekannten sprach lieber nicht mit vollem Mund, doch mit solchen gesellschaftlichen Finessen hatte sich Harry Rex nie belastet. »Soweit ich mich entsinne, und es ist, wie gesagt, schon zehn Jahre her, hatte er ein Haus oben in der Simpson Road, mit ein bisschen Land. Der größte Brocken wird das Sägewerk samt Holzlager am Highway 21 sein, nicht weit von Palmyra. Meine Mandantin war, ähm, Sibyl, Sybil Hubbard, Ehefrau Nummer zwei. Ich glaube, es war ihre zweite oder dritte Ehe.«
Nach zwanzig Jahren und zahllosen Fällen war Harry Rex’ Gedächtnis immer noch erstaunlich. Je schmutziger die Details, umso besser funktionierte es.
Nach einem schnellen Schluck Bier fuhr er fort. »Sie war recht sympathisch, sah nicht schlecht aus und war auch noch verdammt clever. Sie hat im Sägewerk gearbeitet, besser gesagt, sie hat den Laden geleitet, und er lief bestens, als Seth auf die Idee kam zu expandieren. Er wollte noch ein Sägewerk in Alabama dazukaufen und reiste immer wieder für längere Zeit dorthin. Es stellte sich heraus, dass es ihm da eine Empfangssekretärin angetan hatte. Die Sache flog auf. Seth wurde mit herunter gelassenen Hosen erwischt, und Sybil engagierte mich, um ihm die Hölle heißzumachen. Und das habe ich getan. Ich über zeugte das Gericht davon, dass das Sägewerk bei Palmyra ver kauft werden müsste. Das andere Werk hat nämlich nie Gewinn gemacht. Die zweihunderttausend Dollar Erlös gingen komplett an meine Mandantin. Sie hatten außerdem eine hübsche kleine Wohnung am Golf, in der Nähe von Destin. Die bekam Sybil auch. Das ist die Kurzversion der Geschichte, aber die Akte ist knapp einen halben Meter dick. Du darfst sie dir gern ansehen, wenn du willst.«
»Vielleicht später. Hast du eine Vorstellung, wie seine aktuel len Bilanzen aussehen?«
»Nein. Ich habe den Typ aus den Augen verloren. Nach der Scheidung hat er nicht mehr viel von sich reden gemacht. Als ich das letzte Mal von Sybil
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