Die Erbin
Herschel.
»Ich bin sicher, dass sie das befürchtet.«
»Und wenn schon. Sie ist nur ein Hausmädchen.«
Lettie nahm einen Kuchen mit nach Hause, den ihr Ramona großzügigerweise geschenkt hatte. Es war ein Blechkuchen mit fertig gekaufter Vanillecreme und gebräunten Ananasscheiben und mit Sicherheit der unattraktivste von dem halben Dutzend Kuchen, die auf Mr. Hubbards Küchentheke aufgereiht stan den. Gebracht hatte ihn ein Mann von der Kirche, der Lettie unter anderem gefragt hatte, ob die Familie vorhabe, Seths Che vrolet-Pick-up zu verkaufen. Lettie hatte keine Ahnung, versprach aber, die Frage weiterzuleiten. Was sie nicht tat.
Auf dem Heimweg hatte sie ernsthaft überlegt, ob sie den Kuchen nicht einfach wegschmeißen sollte, brachte es aber nicht über sich. Ihre Mutter hatte Diabetes und brauchte wirklich nicht noch mehr Zucker. Wobei nicht sicher war, dass sie überhaupt probieren wollte.
Lettie parkte in der leeren Kiesauffahrt. Simeons alter Pick-up war nicht da. Ihr Mann war schon seit ein paar Tagen weg, und eigentlich rechnete sie auch noch nicht mit ihm. Im Grunde war es ihr sowieso lieber, wenn er nicht da war. Aber man konnte es nie so genau vorhersagen. Sie hatten alles andere als ein glückliches Heim, und ihr Mann war daran nicht ganz unschuldig.
Die Kinder waren noch mit dem Schulbus unterwegs. Lettie ging durch die Küche ins Haus und stellte den Kuchen auf den Tisch. Wie immer saß Cypress im Wohnzimmer und sah fern, wahrscheinlich schon seit Stunden.
Cypress lächelte und streckte ihr die Arme entgegen. »Mein Baby«, sagte sie. »Wie war dein Tag?«
Lettie beugte sich vor und umarmte sie zurückhaltend. »Ziem lich anstrengend. Und deiner?«
»Wir haben uns gut vertragen, der Fernseher und ich«, erwiderte Cypress. »Wie kommen die Hubbards mit dem Verlust zurecht? Setz dich doch, Lettie, und erzähl ein bisschen.«
Lettie schaltete den Fernseher aus, setzte sich neben den Rollstuhl ihrer Mutter auf einen Hocker und berichtete von ihrem Tag. Es habe keine ruhige Minute mehr gegeben, seit Herschel und die Dafoes angekommen seien. Dann die nicht abreißende Besucherparade, die Nachbarn, das ganze Essen. So wie Lettie die Ereignisse präsentierte, klang es nach einem insgesamt ziemlich aufregenden Tag, wobei sie die schlechte Nachricht geschickt umschiffte. Irgendwann demnächst würde sie aber nicht umhinkommen zu erwähnen, dass sie ihren Job verlieren würde. Aber nicht jetzt. Später würde sich eine bessere Gelegenheit ergeben.
»Und die Beerdigung?«, fragte Cypress und streichelte ihrer Tochter den Arm. Lettie lieferte Einzelheiten, erklärte, sie wolle teilnehmen und freue sich darüber, dass Mr. Hubbard darauf bestanden habe, Schwarze in die Kirche zu lassen.
»Wahrscheinlich darfst du in der letzten Reihe sitzen«, sagte Cypress grinsend.
»Wahrscheinlich. Aber ich werde dabei sein.«
»Ich wünschte, ich könnte mitgehen.«
»Ich auch.« Aufgrund ihrer extremen Fettleibigkeit konnte Cypress das Haus kaum mehr verlassen. Sie wohnte jetzt seit fünf Jahren hier und wurde von Monat zu Monat ausladender und immobiler. Simeon blieb aus vielen Gründen weg, doch Letties Mutter spielte dabei eine nicht unerhebliche Rolle.
»Mrs. Dafoe hat mir einen Kuchen mitgegeben«, sagte Lettie. »Möchtest du ein Stück?«
»Was für einen Kuchen?« Trotz ihres Gewichts war Cypress beim Essen ziemlich wählerisch.
»Irgendwas mit Ananas, ich bin nicht sicher, ob ich so was schon mal gesehen habe, aber vielleicht ist es einen Versuch wert. Möchtest du einen Kaffee dazu?«
»Ja. Nur ein kleines Stück.«
»Lass uns auf die Terrasse gehen und ein bisschen frische Luft schnappen, Momma.«
»Gern.« Der Rollstuhl passte kaum zwischen Sofa und Fernseher hindurch, ebenso knapp war es in dem engen Flur zur Küche. Er schleifte am Tisch entlang, ehe er, von Lettie vorsichtig geschoben, durch die Hintertür auf die durchhängende Holzterrasse rollte, die Simeon vor Jahren zusammengenagelt hatte.
Bei schönem Wetter saß Lettie spätnachmittags gern hier, mit Kaffee oder Eistee, abseits von der lärmenden Enge im Haus. Viel zu viele Menschen wohnten in der kleinen Wohnung mit nur drei Schlafzimmern. Cypress hatte eines, Lettie und Simeon – wenn er zu Hause war – hatten eines, das sie sich meist mit ein oder zwei Enkeln teilten, und die Töchter quetschten sich zu sammen in das dritte Zimmer. Die sechzehnjährige Clarice ging zur Highschool und hatte keine Kinder. Phedra hatte mit
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