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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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ein tragisches Ende! Ob er sich wirklich erhängt habe?
    Um dem Besucherstrom aus dem Weg zu gehen, hatte sich die Familie auf die hintere Terrasse zurückgezogen, wo man um einen Picknicktisch saß. Die Durchsuchung von Seths Schreib tisch und Schränken hatte nichts Bedeutsames zutage geför dert. Lettie hatte behauptet, von nichts zu wissen, aber alle hegten da Zweifel. Sie hatte ihre Fragen ruhig, langsam und mit Bedacht beantwortet, was für noch mehr Misstrauen gesorgt hatte. Während einer kurzen Besucherpause gegen vierzehn Uhr servierte sie ihnen auf der Terrasse Mittagessen. Sie hatten auf einer Tischdecke, Silberbesteck und Stoffservietten bestan den, obwohl Seths Bestände viele Jahre lang schmählich ver nachlässigt worden waren. Man einigte sich darauf, dass Lettie für fünf Dollar die Stunde wenigstens so tun konnte, als wäre sie ein richtiges Dienstmädchen.
    Im Umhersausen hörte sie, wie am Picknicktisch darüber gesprochen wurde, wer zur Beerdigung gehen würde und wer nicht. Ian zum Beispiel steckte mitten in wichtigen Vertragsver handlungen, die sich wahrscheinlich auf die finanzielle Situation des gesamten Bundesstaates auswirken würden. Es stünden mor gen einige entscheidende Meetings an, die zu versäumen erhebliche Probleme mit sich brächte.
    Herschel und Ramona sahen widerstrebend ein, dass sie nicht anders konnten, als hinzugehen, wobei Lettie das Gefühl nicht loswurde, dass auch sie einen Grund suchten, um sich zu drücken. Ramona erklärte, dass es ihr von Stunde zu Stunde schlechter gehe, sie sei nicht sicher, ob sie das alles überstehe. Herschel kündigte an, dass seine Exfrau definitiv nicht kommen werde. Er wolle es nicht. Sie habe Seth nie gemocht, und Seth habe sie gehasst. Seine beiden Töchter, nun ja, die eine studiere in Texas, die andere besuche in Memphis die Highschool. Die Ältere dürfe auf keinen Fall die Uni versäumen, außerdem habe sie, wie Herschel eingestand, ihrem Großvater nicht be sonders nahegestanden. Ach, tatsächlich, dachte Lettie, während sie Teller abräumte. Bei der Jüngeren sei auch noch nicht sicher, ob sie kommen könne.
    Seths jüngeren Bruder, Onkel Ancil, hätten sie nie kennengelernt und wüssten auch nicht viel über ihn, nur dass er mit sechzehn oder siebzehn unter Angabe eines falschen Alters bei der Navy angeheuert habe. Er sei im Pazifikkrieg verwundet worden, habe aber überlebt und sei anschließend über alle Weltmeere gereist, wobei er sich mit verschiedensten Jobs über Wasser gehalten habe. Seth habe vor Jahrzehnten bereits die Verbindung zu ihm verloren und nie über ihn gesprochen. Es gebe keine Möglichkeit, Kontakt zu ihm aufzunehmen, und sicherlich auch keinen Grund. Wahrscheinlich sei er ebenso tot wie Seth.
    Sie sprachen über andere Verwandte, die sie seit Jahren nicht gesehen hatten und die sie auch jetzt nicht sehen wollten. Was für eine sonderbare, traurige Familie, dachte Lettie, während sie ihnen eine Auswahl Kuchen servierte. Die Beerdigung würde in sehr kleinem Kreis stattfinden und in Nullkommanichts über die Bühne sein.
    »Sie muss hier so schnell wie möglich weg«, sagte Herschel, als Lettie in die Küche verschwunden war. »Wir dürfen uns nicht länger abzocken lassen.«
    »Wir? Seit wann zahlen wir sie denn?«, fragte Ramona.
    »Na ja, sie liegt jetzt uns auf der Tasche. Es geht alles vom Erbe ab.«
    »Aber ich werde das Haus nicht putzen, du vielleicht, Herschel?«
    »Natürlich nicht.«
    »Lasst uns das locker angehen«, schlug Ian vor, »bringen wir die Beerdigung hinter uns, dann soll sie putzen, und wenn wir am Mittwoch wieder fahren, schließen wir das Haus ab.«
    »Wer sagt ihr, dass sie den Job los ist?«, fragte Ramona.
    »Das mache ich«, erwiderte Herschel. »Kein Problem. Schließ lich ist sie nur eine Haushälterin.«
    »Aber irgendwas an ihr ist faul«, meinte Ian. »Ich kann nicht recht sagen, was, aber sie verhält sich, als wüsste sie etwas, was wir nicht wissen, irgendetwas Wichtiges. Findet ihr nicht auch?«
    »Ja, da liegt was in der Luft«, stimmte Herschel zu, der froh war, wenigstens ab und zu mit seinem Schwager einer Meinung zu sein.
    Doch Ramona war anderer Ansicht. »Nein, das ist nur der Schock und die Trauer. Sie war einer von den wenigen Menschen, die Seth ertragen konnte, die ihn ertragen haben. Sie ist traurig, dass er nicht mehr da ist. Außerdem weiß sie, dass sie ihren Job bald los sein wird.«
    »Du meinst, sie ahnt, dass sie gefeuert wird?«, fragte

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