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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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ihren einundzwanzig Jahren ein Kind in der Vorschule und eines in der ersten Klasse, aber keinen Mann. Der vierzehnjährige Kirk, Letties jüngerer Sohn, schlief im Wohnzimmer auf dem Sofa. Nicht selten wohnten außerdem noch über Monate Nichten und Neffen bei ihnen, während deren Eltern versuchten, ihr Leben in den Griff zu bekommen.
    Cypress trank einen Schluck Instantkaffee und spießte einen Bissen vom Kuchen auf ihre Gabel. Langsam führte sie ihn zum Mund, kaute und runzelte kritisch die Stirn. Lettie schmeckte er auch nicht, und so beließen sie es beide beim Kaffee und redeten über die Hubbards und wie durcheinander sie waren. Sie machten sich über die Weißen und ihre Beerdigungen lustig, wie eilig sie es hatten, ihre Toten unter die Erde zu bringen, oft binnen zwei oder drei Tagen. Schwarze ließen sich dafür viel mehr Zeit.
    »Du wirkst so abwesend, mein Schatz, bedrückt dich was?«, fragte Cypress leise.
    Die Kinder würden bald aus der Schule kommen, dann Phedra von der Arbeit. Dies war der letzte ruhige Moment bis zum Schlafengehen. Lettie atmete tief durch und sagte: »Ich habe sie reden gehört, Momma. Sie werden mich entlassen. Wahr scheinlich noch diese Woche, gleich nach der Beerdigung.«
    Cypress schüttelte den großen runden Kopf und sah aus, als wäre sie den Tränen nahe. »Aber warum denn?«
    »Ich denke, sie brauchen keine Haushälterin mehr. Sie werden das Haus verkaufen, weil es keiner von ihnen übernehmen will.«
    »Guter Gott!«
    »Sie können es gar nicht abwarten, an das Geld zu kommen. Sie hatten nie Zeit, ihn zu besuchen, aber jetzt kreisen sie wie die Geier.«
    »Typisch Weiße. Das war schon immer so.«
    »Sie finden, dass ich zu viel verdiene, deshalb wollen sie mich so schnell wie möglich loswerden.«
    »Wie viel hat er dir denn bezahlt?«
    »Ach, Momma.« Lettie hatte niemandem aus ihrer Familie erzählt, dass Mr. Hubbard ihr fünf Dollar die Stunde zahlte, und zwar bar auf die Hand. In diesem ländlichen Bereich von Mississippi war das in der Tat viel für eine Haushälterin, und Lettie wusste, dass es nur Ärger gegeben hätte. Alle würden ein extra Taschengeld wollen. Die Freunde würden anfangen zu reden. »Behalte es für dich, Lettie«, hatte Mr. Hubbard zu ihr gesagt. »Sprich nicht über dein Geld.« Simeon hätte überhaupt keine Motivation mehr, etwas nach Hause zu bringen. Seine Einkünfte waren auch so schon ähnlich unvorhersehbar wie seine Besuche zu Hause.
    »Sie haben mich Dienstmädchen genannt«, sagte Lettie.
    »Dienstmädchen? Den Ausdruck habe ich schon lange nicht mehr gehört.«
    »Diese Leute sind alles andere als sympathisch, Momma. Ich glaube zwar, dass Mr. Hubbard kein guter Vater war, aber seine Kinder sind schäbig.«
    »Und jetzt bekommen sie all sein Geld.«
    »Das nehme ich an. Jedenfalls rechnen sie damit.«
    »Wie viel hat er denn hinterlassen?«
    Lettie schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Kaffee. »Ich habe keine Ahnung. Und ich bin nicht einmal sicher, dass es irgendjemanden gibt, der das genau weiß.«

6
    Der Parkplatz vor der Irish Road Christian Church war zur Hälfte gefüllt, als Ozzie am Dienstagnachmittag um fünf vor vier eintraf. Er war mit einem Zivilfahrzeug unterwegs – er blieb lieber inkognito –, doch man sah trotzdem auf den ersten Blick, dass hier der Sheriff kam. Es war das gleiche Fordmodell, das praktisch alle Sheriffs im Staat fuhren, groß, braun, viertü rig, mit schwarzen Felgen, dazu mehrere Antennen und ein klei nes, rundes blaues Signallicht auf dem Armaturenbrett, halb verborgen.
    Ozzie parkte neben dem roten Saab, der etwas abseits von den anderen Autos stand. Jake stieg zusammen mit ihm aus, und gemeinsam überquerten sie den Parkplatz. »Irgendwelche Neuig keiten?«, wollte Jake wissen.
    »Nichts«, sagte Ozzie. Er trug einen dunklen Anzug und dazu schwarze Cowboystiefel. Jake hatte ebenfalls einen Anzug an, aber keine Stiefel. »Bei dir?«
    »Nichts. Ich schätze, morgen bricht die Hölle los.«
    Ozzie lachte. »Ich kann’s kaum erwarten.«
    Die Kirche war ursprünglich ein freistehender kleiner Klinkerbau gewesen, mit einem gedrungenen Turm über dem zweiflügligen Eingangsportal. Im Laufe der Zeit hatte die Gemeinde alle möglichen Metallschuppen angebaut – einen direkt neben die Kirche, der sie weit überragte, und einen anderen dahinter, wo die Jugendlichen Basketball spielen konnten. Auf einer kleinen Anhöhe in der Nähe lag unter schattigen Bäumen der Friedhof, eine hübsche,

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