Die Erbin
Mit aufgesetztem Lächeln trat sie ins Wohnzimmer und fand Ian Dafoe auf dem Sofa vor, im Schlafanzug, umgeben von Papieren, vertieft in die Einzelheiten irgendeines anstehenden Deals.
»Guten Morgen, Mr. Dafoe«, sagte sie.
»Guten Morgen, Lettie«, erwiderte er mit einem Lächeln. »Wie geht’s?«
»Gut, danke, und Ihnen?«
»So gut es gehen kann, unter den gegebenen Umständen. War die halbe Nacht hiermit beschäftigt«, sagte er und schwenk te den Arm über seine geliebten Unterlagen, als wüsste sie genau, worum es ging. »Würden Sie mir einen Kaffee bringen? Schwarz.«
»Ja, Sir.«
Lettie brachte ihm den Kaffee, den er ohne ein weiteres Wort oder ein Nicken entgegennahm, längst wieder in seine Arbeit vertieft. Sie ging in die Küche zurück und goss sich selbst eine Tasse Kaffee ein. Als sie den Kühlschrank öffnete, um die Sahne herauszuholen, bemerkte sie eine fast leere Flasche Wodka. Bislang hatte sie noch nie Schnaps im Haus gesehen. Einmal im Monat hatte Seth ein paar Flaschen Bier mitgebracht und in den Kühlschrank gestellt, sie dann aber meist vergessen.
Die Spüle war voll mit dreckigem Geschirr – wieso sollten sie auch die Spülmaschine benutzen, wenn sie doch Personal bezahlten? Lettie machte sich ans Aufräumen, als Mr. Dafoe im Türrahmen erschien. »Ich denke, ich werde jetzt duschen. Ramona geht es nicht gut, wahrscheinlich hat sie sich erkältet.«
Könnte aber auch am Wodka liegen, dachte Lettie. Laut sagte sie: »Das tut mir leid. Kann ich irgendwas für sie tun?«
»Ich glaube nicht. Aber Frühstück wäre nett, Eier und Speck. Für mich bitte Rührei, bei Herschel weiß ich es nicht.«
»Ich werde ihn fragen.«
Da bald niemand mehr hier wäre und das Haus ohnehin leer stehen, verkauft oder sonst wie abgestoßen würde, beschloss Lettie, Vorratskammer und Kühlschrank auszuräumen. Sie briet Speck und Würstchen, machte Pfannkuchen, schlug Eier und backte Omeletts, bereitete Maisbrei mit Käse zu und wärmte Biskuits aus der Packung auf, Seths Lieblingsmarke. Der Tisch bog sich förmlich unter dampfenden Schüsseln und Tellern, als sich die drei zum Frühstück hinsetzten. Zuerst beschwerten sie sich über das viele Essen und den ganzen Aufwand, aber dann aßen sie doch. Ramona mit ihren verquollenen Augen und gerötetem Gesicht sagte nicht viel, schien aber Heißhunger auf Fett zu haben. Lettie blieb noch ein paar Minuten und bediente sie, wie es sich gehörte. Die Stimmung war angespannt. Wahrscheinlich hatten sie einen schlimmen Abend gehabt und viel getrunken und gestritten bei dem Versuch, einen weiteren Tag in diesem verhassten Haus zu Ende zu bringen. Schließlich machte sie sich an die Schlafzimmer, wo sie zu ihrer Erleichterung sah, dass alle Koffer schon gepackt waren.
Aus dem Hintergrund hörte sie, wie Herschel und Ian darüber diskutierten, wo man sich mit den Anwälten treffen sollte. Ian argumentierte, dass es für die Anwälte einfacher sei, hierherzukommen, als für sie drei, nach Tupelo zu fahren.
»Kann ja nicht zu viel verlangt sein, dass die zu uns kommen«, sagte Ian. »Die sollen um zehn hier sein.«
»Okay, okay«, gab Herschel nach, dann senkten sie beide die Stimmen.
Nach dem Frühstück und nachdem Lettie den Tisch abgeräumt und das Geschirr gespült hatte, gingen die drei nach draußen auf die Terrasse, wo sie sich an den Picknicktisch setzten und in der Morgensonne Kaffee tranken. Ramona schien es jetzt besser zu gehen. Lettie, die mit einem Trinker lebte, nahm an, dass Mrs. Dafoe ganz allgemein morgens Anlaufschwierigkeiten hatte. Für einen Moment schienen sie die Spannungen vom Vorabend abzuschütteln, denn es ertönte Gelächter.
Dann klingelte es an der Tür, ein Schlosser aus Clanton. Herschel führte ihn herum und erklärte so laut, dass Lettie es auf jeden Fall hören musste, dass sie neue Schlösser für die vier Außentüren brauchten. Während sich der Mann an der Vordertür an die Arbeit machte, kam Herschel in die Küche. »Wir bekommen neue Schlüssel, Lettie«, erklärte er. »Die alten werden also nicht mehr funktionieren.«
»Ich hatte nie einen Schlüssel«, sagte sie mit scharfem Unterton, denn sie hatte das schon einmal versichert.
»Richtig«, erwiderte Herschel, ohne ihr zu glauben. »Wir werden einen bei Calvin lassen, die anderen nehmen wir mit. Ich schätze, ich werde hin und wieder vorbeikommen, um nach dem Rechten zu sehen.«
Kann mir doch egal sein, dachte Lettie und sagte laut: »Ich komme gern zum Putzen,
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