Die Erbin
berufen werden, Russell Amburghs Platz einzunehmen: jede zurechnungsfähige Person über achtzehn Jahre. Nicht einmal Kriminelle waren ausgeschlossen. Allerdings wäre angesichts des Umfangs des Vermögens und der komplexen Streitfragen, die anstanden, jemand mit mehr Erfahrung und ohne Eigeninteresse vorzuziehen. Die Vorstellung, Lettie zwanzig Millionen Dollar verwalten zu lassen, war schockierend – zumindest für die Weißen im Gerichtssaal. Sogar Richter Atlee wirkte für einen Moment sprachlos.
Doch Sistrunk war noch nicht fertig. Er wartete kurz, bis sich der erste Schreck gelegt hatte, und fuhr dann fort: »Euer Ehren, ich weiß, dass die Hauptarbeit vom rechtlichen Vertreter des Nachlasses erledigt wird, unter strenger Aufsicht des Gerichts selbstverständlich, deshalb schlage ich vor, dass meine Kanzlei als Prozessbevollmächtigte auftritt. Wir werden eng mit unserer Mandantin, Mrs. Lettie Lang, zusammenarbeiten, um die Wünsche von Mr. Hubbard umzusetzen. Falls nötig, werden wir Mr. Brigance’ Rat suchen, der selbst ein guter junger Anwalt ist. Doch die wesentlichen Aufgaben werden von mir und meinen Leuten abgedeckt werden.«
Damit hatte Booker Sistrunk sein Ziel erreicht. Ab jetzt war es ein Krieg zwischen Schwarz und Weiß.
Herschel und Ramona und ihre Familien blickten hasserfüllt auf die Seite mit den Schwarzen, wo ihnen selbstgefällige Mienen begegneten. Lettie war die Erbin, eine aus ihrer Mitte, sagten diese Gesichter, und sie waren hier, um für sie zu kämpfen. Aber das Geld gehörte doch den Hubbards. Seth musste den Verstand verloren haben.
Jake sah sich entsetzt zu Sistrunk um, der ihn jedoch ignorierte. Seine erste Reaktion war: Wie kann er nur! Ein überwiegend weißes County bedeutete, dass die Jury ebenfalls überwiegend weiß sein würde. Sie waren weit weg von Memphis, wo es Sistrunk regelmäßig gelang, Jurys mit Schwarzen zu be setzen und dann spektakuläre Urteile zu erzielen. Aber Memphis war eine andere Welt.
Eine Jury mit neun oder zehn Weißen aus Ford County, die eine Woche lang von Booker Sistrunk bearbeitet wurde, und Mrs. Lettie Lang würde mit leeren Händen nach Hause gehen.
Die übrigen weißen Anwälte waren ebenso perplex wie Jake, allein Wade Lanier erkannte sofort seine Chance. Er sprang auf die Füße und posaunte los. »Kein Einspruch, Euer Ehren.«
»Es steht Ihnen auch nicht zu, Einspruch zu erheben«, fauchte Richter Atlee.
Jakes zweiter Gedanke war: Ich muss hier raus. Die Geier werden sowieso nichts übrig lassen. Das Leben ist zu kurz, um sich in einem Rassenkrieg verheizen zu lassen.
Richter Atlee sagte: »Noch etwas, Mr. Sistrunk?«
»Für den Augenblick nicht, Euer Ehren.« Sistrunk drehte sich um und sah selbstgefällig zu Simeon und dessen Familie hin über. Er hatte bewiesen, dass er Rückgrat hatte, dass er furchtlos war, sich nicht einschüchtern ließ und auch vor handfesteren Methoden nicht zurückschrecken würde. Kurzum, dass sie den Richtigen engagiert hatten. Ehe er sich setzte, warf er Herschel Hubbard ein hämisches Grinsen zu, als wollte er sagen: »Das Spiel ist eröffnet.«
»Sie sollten noch ein wenig besser recherchieren, Mr. Sistrunk«, sagte Richter Atlee, ohne eine Miene zu verziehen. »Unser Nachlassrecht räumt den Wünschen des Testators höchste Priorität ein. Mr. Hubbard hat sich hinsichtlich des Anwalts für seinen Nachlass deutlich ausgedrückt. Daran wird nichts geändert werden. In Zukunft reichen Sie Ihre Vorschläge bitte als ordentliche Anträge ein, selbstverständlich erst, wenn Sie einen Korrespondenzanwalt gefunden haben, der an diesem Gericht tätig werden kann, und unter Einhaltung aller Fristen.«
Jakes Atmung beruhigte sich wieder, doch er war immer noch fassungslos über Sistrunks Unverfrorenheit – und Habgier. Zweifellos hatte er mit Lettie ein Honorar auf Erfolgsbasis vereinbart, das ihm einen Teil der Streitsumme zusicherte. Die meisten Klägeranwälte nahmen ein Drittel für einen Vergleich, vierzig Prozent für ein Geschworenenurteil und die Hälfte bei einer Revision. Ein Typ wie Sistrunk, eitel und zugegebenermaßen erfolgreich, würde sich mit Sicherheit am oberen Ende der Skala bewegen. Und als wäre das noch nicht genug, versuchte er, auch ein sattes Stundenhonorar als Nachlassverwalter heraus zuschlagen.
Richter Atlee kam zum Ende. »In dreißig Tagen sehen wir uns wieder. Die Sitzung ist geschlossen.« Er nahm den Hammer und ließ ihn auf die Richterbank niederfahren.
Lettie war
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