Die Erbin
eintrat. Er warf eine Ausgabe der Zeitung auf Jakes Schreibtisch.
»Guten Morgen, Harry Rex«, sagte Jake, während sein Besucher sich auf einen Stuhl sinken ließ und keuchend nach Luft rang, bis die Atemzüge wieder leichter gingen und der Herzstillstand abgewendet schien.
»Versucht sie immer, die Leute in die Flucht zu schlagen?«
»Sieht schwer danach aus. Kaffee?«
»Gibt’s auch Bud Light?«
»Es ist neun Uhr morgens.«
»Na und? Ich muss heute nicht zum Gericht. An freien Tagen fange ich früher an.«
»Meinst du nicht, du trinkst zu viel?«
»Nein! Bei meinen Mandanten kann man gar nicht genug trinken. Ist genauso wie bei dir.«
»Ich habe kein Bier im Büro. Nicht einmal zu Hause.«
»Was für ein Leben.« Harry Rex streckte die Hand nach der Zeitung aus, hielt sie hoch und deutete auf Letties Foto. »Sag mir, Jake, was wird der Durchschnittsweiße in diesem County sagen, wenn er das Bild sieht? Schwarze Haushälterin, die ganz passabel aussieht, mogelt sich in das Testament eines kranken alten Mannes und heuert schmierige Afroanwälte aus der großen Stadt an, um das Geld an sich zu bringen. Was reden sie im Coffee Shop darüber?«
»Weißt du doch sowieso.«
»Ist die Frau nicht ganz bei Trost?«
»Nein, aber sie hat sich überrumpeln lassen. Simeon hat Verwandte in Memphis, und irgendwie ist da eine Verbindung zu stande gekommen. Sie hat keine Ahnung, was sie tut. Und sie ist schlecht beraten.«
»Du bist doch auf ihrer Seite, Jake. Kannst du nicht mit ihr reden?« Er warf die Zeitung wieder auf den Schreibtisch.
»Nein. Ich dachte, es ginge, aber dann hat sie Sistrunk engagiert. Ich habe gestern bei Gericht versucht, mit ihr zu reden, aber sie haben sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Ich habe auch versucht, mit den Hubbard-Abkömmlingen zu reden, aber die waren nicht sonderlich nett.«
»Du bist im Augenblick ziemlich beliebt, Jake.«
»Kam mir gestern nicht so vor. Immerhin mag mich Richter Atlee.«
»Ich habe gehört, er war nicht so beeindruckt von Sistrunk.«
»Nein. Ebenso wenig, wie die Geschworenen es sein werden.«
»Du wirst also um eine Jury ersuchen?«
»Ja, der Richter wünscht sich eine. Aber das hast du nicht von mir.«
»Nein. Du musst einen Weg finden, um an die Frau heranzukommen. Sistrunk wird den gesamten Staat Mississippi gegen sich aufbringen, und sie wird am Ende leer ausgehen.«
»Sollte sie denn deiner Meinung nach etwas bekommen?«
»Ja, verdammt. Es ist Seths Geld. Wenn er es der Kommunistischen Partei vermachen will, ist das seine Sache. Er hat es ganz allein verdient, er kann ja wohl damit verfahren, wie es ihm passt. Warte, bis du die beiden Kinder kennenlernst – zwei Super-Nulpen, wenn du mich fragst –, dann wirst du verstehen, warum er sie enterbt hat.«
»Ich dachte, du hasst Seth.«
»Das war vor zehn Jahren, aber damals habe ich den Idioten von der Gegenseite schon aus Prinzip gehasst. Deshalb bin ich so ein fieser Typ. Irgendwann komme ich dann darüber hinweg. Aber wie auch immer – er hat kurz vor seinem Tod ein Testament geschrieben, und die Justiz hat das zu schützen, sofern es gültig ist.«
»Ist es denn gültig?«
»Die Entscheidung obliegt der Jury. Und es wird von allen Seiten attackiert werden.«
»Wie würdest du denn vorgehen, wenn du es anfechten wolltest?«
Harry Rex lehnte sich zurück und legte einen Fuß auf sein Knie. »Hab schon darüber nachgedacht. Als Erstes würde ich Sachverständige holen, ein paar Mediziner, die beweisen, dass Seth mit Schmerzmitteln vollgepumpt und sein Körper vom Lungenkrebs zerfressen war und dass er aufgrund der ganzen Chemo, Bestrahlung und Medikamente im letzten Jahr nicht klar denken konnte. Er litt schreckliche Schmerzen. Ich würde einen Spezialisten zurate ziehen, der ausführt, wie Schmerzen das Denkvermögen beeinträchtigen. Keine Ahnung, wo man so jemanden auftreibt, aber es gibt für alles Experten. Bedenke, Jake, der durchschnittliche Geschworene in diesem County hat bestenfalls die Highschool abgeschlossen. Die sind hier nicht so schlau. Ein Sachverständiger oder gar ein ganzes Team von Sachverständigen kann eine Jury ganz schön ins Grübeln bringen. Man könnte Seth Hubbard als sabbernden Idioten darstel len. Muss man nicht sowieso einen an der Klatsche haben, wenn man sich erhängt?«
»Die Frage kann ich nicht beantworten.«
» Zweitens: Seth hatte seinen Hosenladen nicht im Griff. Keine Ahnung, ob er je die Rassengrenze überschritten hat, aber
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