Die Erbin
sofort von ihren Anwälten umringt, die sie in die Mitte nahmen und durch die Schranke manövrierten, wo sie in der ersten Zuschauerreihe von ihrer Familie und anderen Fans empfangen wurde. Man umarmte, streichelte, tröstete und er munterte sie, als ginge es um Leben und Tod. Sistrunk ließ sich für seine mutigen Ansichten und Forderungen loben und beglückwünschen, und Kendrick Bost hielt Lettie um die Schultern gefasst, während sie sich leise mit ihren Lieben beriet. Cypress, ihre Mutter, wischte sich im Rollstuhl die Tränen von den Wangen. Was musste ihre Familie da Schreckliches durchmachen.
Jake war nicht in der Stimmung für Small Talk, wobei auch niemand wirklich versuchte, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Die anderen Anwälte spalteten sich in mehrere Grüppchen auf, während sie ihre Aktenkoffer packten und sich zum Gehen anschickten. Die Hubbard-Erben blieben unter sich und bemühten sich, nicht zu den Schwarzen hinüberzustarren, die es auf ihr Geld abgesehen hatten. Jake stahl sich durch eine Seitentür hinaus und war schon auf dem Weg zur Hintertreppe, als ihm Mr. Pate, der betagte Gerichtsdiener, zurief: »Hey, Jake, Richter Atlee möchte Sie sprechen.«
Der Richter erwartete ihn in dem engen kleinen Zimmer, wo Anwälte und Richter beim Kaffee ihre inoffiziellen Meetings abhielten. Als Jake eintrat, zog er gerade seine Robe aus. »Schließen Sie die Tür«, begrüßte er ihn.
Atlee war kein Geschichtenerzähler. Er machte kaum Witze und zeigte überhaupt selten Humor, wobei er als Richter ein Publikum vor sich hatte, das über jeden Scherz bereitwillig lachte. »Nehmen Sie Platz, Jake«, sagte er, und sie setzten sich gegenüber an den kleinen Tisch.
»Was für ein riesengroßes Arschloch«, sagte Richter Atlee. »So kommt er vielleicht in Memphis durch, aber doch nicht hier.«
»Ich kann es auch nicht fassen.«
»Kennen Sie Quince Lundy, den Anwalt aus Smithfield?«
»Ich habe schon von ihm gehört.«
»Ein älterer Mann, kurz vor der Rente. Er hat sein Leben lang praktisch nichts anderes als Nachlassangelegenheiten gemacht, er kennt sich wirklich aus. Absolut vertrauenswürdig. Ist ein alter Freund von mir. Nennen Sie in Ihrem Antrag Quince und zwei beliebige andere – die Sie aussuchen – als Nachlassverwalter; ich werde dann Quince bestellen. Sie werden gut mit ihm auskommen. Und was Sie angeht, Sie werden bis zum bitteren Ende dabei sein. Was verlangen Sie pro Stunde?«
»Ich habe keinen festen Stundensatz. Meine Mandanten verdienen selbst nur zehn Dollar die Stunde, bestenfalls. Die können sich nicht leisten, einem Anwalt das Zehnfache zu zahlen.«
»Ich denke, hundertfünfzig ist heutzutage eine faire Summe. Was sagen Sie?«
»Hundertfünfzig klingt prima.«
»Gut, Sie bekommen hundertfünfzig die Stunde. Ich nehme an, Sie können die Zeit erübrigen?«
»O ja.«
»Fein, denn Sie werden in der nahen Zukunft für kaum etwas anderes Zeit finden. Alle zwei Monate reichen Sie bitte eine Eingabe ein, in der Sie um Auszahlung der angefallenen An waltsgebühren bitten. Ich sorge dann dafür, dass Sie das Geld bekommen.«
»Danke, Richter Atlee.«
»Es ranken sich wilde Gerüchte um den Umfang des Erbes. Wissen Sie, was daran wahr ist?«
»Russell Amburgh spricht von mindestens zwanzig Millio nen, das meiste davon Bargeld. Irgendwo außerhalb von Missis sippi versteckt. Sonst wüsste ja jeder in Clanton Bescheid.«
»Wir sollten rasch handeln, um den Nachlass zu schützen. Ich werde eine Verfügung unterzeichnen, die Ihnen Vollmacht über Mr. Hubbards Bücher gibt. Sobald Quince Lundy an Bord ist, können Sie beide mit den Recherchen beginnen.«
»Ja, Sir.«
Richter Atlee trank einen großen Schluck Kaffee aus seinem Pappbecher. Er sah durch das schmutzige Fenster und schien den Rasen vor dem Gerichtsgebäude zu betrachten, bis er schließlich sagte: »Die arme Frau tut mir fast leid. Sie hat vollkommen die Kontrolle verloren. Die Leute um sie herum sind alle nur scharf auf das Geld. Aber wenn Sistrunk mit ihr fertig ist, wird ihr kein Cent mehr geblieben sein.«
»Vorausgesetzt, die Geschworenen entscheiden überhaupt zu ihren Gunsten.«
»Werden Sie eine Jury beantragen, Jake?«
»Ich weiß noch nicht. Soll ich?« Unter anderen Umständen wäre diese Frage undenkbar gewesen. Jake wappnete sich schon gegen die zu erwartende Abfuhr, doch stattdessen setzte der Richter ein knappes Lächeln auf, ohne seinen Blick vom Rasen zu nehmen. »Mir wäre eine Jury recht, Jake. Ich
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