Die Erbin
habe kein Problem damit, harte Urteile zu fällen. Das gehört zum Job. Doch in diesem Fall wäre es nett, zwölf unserer treuen und aufrechten Mitbürger auf dem heißen Stuhl zu wissen. Das wäre mal eine Abwechslung.« Sein Lächeln wurde breiter.
»Kann ich Ihnen nicht verdenken. Dann werde ich eine Jury beantragen.«
»Tun Sie das. Ach ja, Jake, da draußen sind jede Menge Anwälte, und ich vertraue nur den wenigsten. Sie dürfen jederzeit vorbeikommen und einen Kaffee mit mir trinken, wenn Sie etwas zu besprechen haben. Sicher ist Ihnen die Bedeutung dieses Falles bewusst. Es gibt in dieser Gegend nicht viel Geld, das war schon immer so. Und jetzt ist da plötzlich ein märchenhafter Schatz, von dem alle etwas abhaben wollen. Sie nicht und ich auch nicht. Aber da sind genügend andere. Es ist wichtig, dass Sie und ich am selben Strang ziehen.«
Jake entspannte sich zum ersten Mal seit Stunden und atmete tief durch. »Das sehe ich genauso, Euer Ehren. Vielen Dank.«
»Wir sehen uns.«
13
Dumas Lee hatte die gesamte Titelseite der Ford County Times vom Mittwoch, dem 12. Oktober, für sich beansprucht. Außer der Anhörung im Fall des Nachlasses von Mr. Seth Hubbard hatte es offenbar nichts Neues im County gegeben. Die fette Schlagzeile verkündete: »Tauziehen um Hubbard-Testament eröffnet«. Und der Aufmacher erzählte in Dumas’ bestem Boule vardstil: »Im Streit um das Testament des verstorbenen Seth Hubbard, der sich am 2. Oktober erhängt hat, haben sich gestern die Erben mit ihren Anwälten am Chancery Court vor Richter Reuben Atlee in Stellung gebracht und die ersten Warnschüsse abgegeben.«
Ein Fotograf war fleißig gewesen. In der Mitte der ersten Seite prangte ein großes Bild von Lettie Lang, wie sie das Gerichtsgebäude betrat, an den Armen gezerrt von Booker Sistrunk und Kendrick Bost, als könnte sie nicht allein gehen. Die Bildunterschrift beschrieb sie als »Lettie Lang, 47, aus Box Hill, in Begleitung ihrer Anwälte. Die ehemalige Haushälterin von Seth Hubbard ist die mutmaßliche Begünstigte durch das zweifelhafte handschriftliche Testament, das der Verstorbene kurz vor seinem Tod aufsetzte.« Daneben waren zwei kleinere Schnapp schüsse von Herschel und Ramona, im Hintergrund ebenfalls das Gerichtsgebäude.
Jake las die Zeitung am frühen Mittwochmorgen an seinem Schreibtisch und trank seinen Kaffee dazu. Er las jeden Satz zweimal, musste aber überrascht zugeben, dass Dumas dieses Mal seine Hausaufgaben ausnahmsweise gemacht hatte. Nichtsdestotrotz verwünschte er ihn für die Verwendung des Wortes »zweifelhaft«. Jeder registrierte Wähler im County war ein po tenzieller Geschworener. Die meisten würden entweder diese Zeitung lesen oder jemanden darüber reden hören. Wie kam Dumas dazu, das Testament von vornherein für »zweifelhaft« zu erklären? Die finster-herablassenden Mienen der gut geklei deten Fremdlinge aus Memphis waren auch nicht besonders hilfreich. Das Foto vor Augen, versuchte Jake sich vorzustellen, wie neun weiße und drei schwarze Geschworene Sympathie für Lettie aufbringen sollten, bei zwanzig Millionen Dollar, die auf dem Spiel standen. Es würde schwierig werden. Nach spätes tens einer Woche mit Sistrunk würden sie seine Absichten durch schauen und das handschriftliche Testament für ungültig erklären. Vielleicht würden sie Herschel und Ramona auch nicht mögen, aber die waren wenigstens weiß und wurden nicht von einem Rechtsverdreher vertreten, der die Ausstrahlung eines Fernsehpredigers hatte.
Als ihm bewusst wurde, dass sie vorläufig sogar in einem Boot saßen oder zumindest auf der gleichen Seite des Gerichtssaals, schwor er sich auszusteigen. Wenn Richter Atlee Sistrunk tatsächlich zuließ, würde er das Handtuch werfen und den nächstbesten Autounfall annehmen. Alles wäre besser als ein juristisches Hauen und Stechen, bei dem er nur unterliegen konnte. Das Honorar hätte er gern genommen, aber die Kopfschmerzen brauchte er nicht.
Unten war auf einmal Bewegung, dann knarrten die alten Holzstufen, die zu seinem Büro hinaufführten. Rhythmus und Lärmpegel ließen keinen Zweifel, wer ihn da besuchte, langsam und mit schweren Schritten, die auf den Stufen landeten, als wollten sie sie zerschmettern. Die Treppe bebte unter Harry Rex. Roxy rief ihm empört hinterher. Übergewichtig und alles andere als fit, war er völlig außer Atem, als er Jakes Tür aufstieß und mit einem gut gelaunten »Diese Person ist ja total verrückt geworden!«
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