Die Erbin
Sie kennen ihn. Scheint ein netter Kerl zu sein. Jedenfalls will er mich als Korrespondenz anwalt im Seth-Hubbard-Fall.«
»Warum sollte er ausgerechnet Sie wollen, Rufus?«, fragte Jake, ohne nachzudenken, während seine Schultern nach unten sanken.
»Vermutlich wegen meines Rufs.«
O nein. Sistrunk hatte nur gründlich recherchiert und den einzigen Anwalt im Bundesstaat gefunden, den Jake aus ganzem Herzen hasste. Er wollte sich nicht vorstellen, was Buckley alles über ihn gesagt hatte.
»Ich weiß nicht recht, wie Sie ins Bild passen, Rufus.«
»Das werden Sie schon noch sehen. Booker will als Erstes Sie aus dem Fall draußen haben, damit er übernehmen kann. Er sagte, er werde vielleicht eine Verlegung des Verfahrens beantragen. Er sagte außerdem, Richter Atlee habe offensichtlich etwas gegen ihn, deshalb werde er ihn auffordern, den Fall abzugeben. Das ist ja nur Vorgeplänkel, Jake. Wie Sie wissen, ist Sistrunk ein erfolgreicher Prozessanwalt mit zahlreichen Kon takten. Ich denke, das ist der Grund, warum er mich im Team haben will.«
»Nun, dann willkommen an Bord, Rufus. Ich bezweifle, dass er Ihnen auch den Rest der Geschichte erzählt hat, aber er hat bereits versucht, mich loszuwerden. Hat nicht funktioniert, weil Richter Atlee auch lesen kann. Das Testament benennt ausdrücklich mich als Anwalt für den Nachlass. Atlee wird sich weder zurückziehen, noch wird er das Verfahren von Clanton wegverlegen. Was Sie da treiben, ist extrem kontraproduktiv, außerdem vergraulen Sie damit jeden potenziellen Geschworenen in diesem County. Meiner Ansicht nach ist das ziemlich dumm, Rufus, eine Dummheit, die uns den Kopf kosten kann.«
»Das werden wir ja sehen. Sie sind nicht routiniert genug, Jake, Sie müssen den Fall abgeben. Klar, Sie hatten ein paar ganz nette Urteile, aber hier geht’s nicht um Strafrecht, sondern um eine komplexe, millionenschwere Zivilklage, und Sie sind jetzt schon überfordert.«
Jake biss sich auf die Zunge und wusste plötzlich wieder genau, warum er diese Stimme so verabscheute. Langsam und betont sagte er: »Sie waren Staatsanwalt, Rufus. Seit wann sind Sie Fachanwalt für Zivilklagen?«
»Ich bin Prozessanwalt. Ich lebe gewissermaßen im Gerichtssaal. In den letzten Jahren habe ich nur noch Zivilprozesse geführt. Außerdem sitzt Sistrunk an meinem Tisch. Er hat das Memphis Police Department im letzten Jahr dreimal auf über eine Million verklagt.«
»Und alle Fälle sind in Revision. Er hat noch keinen Cent gesehen.«
»Das kommt schon noch. Genauso werden wir die Hubbard- Sache durchziehen.«
»Was springt für Sie dabei raus, Rufus? Fünfzig Prozent?«
»Ist vertraulich, Jake. Das wissen Sie doch.«
»Es sollte öffentlich gemacht werden.«
»Nur nicht neidisch werden, Jake.«
»Bis später«, sagte Jake und legte auf.
Er atmete tief durch, sprang auf und ging nach unten. »Bin gleich wieder da«, sagte er im Vorbeigehen zu Roxy.
Es war 10.30 Uhr, und der Coffee Shop war leer. Dell stand hinter der Theke und polierte Gabeln, als Jake hereinkam und sich auf einen Barhocker setzte. »Kurze Pause?«, fragte sie.
»Ja. Kaffee bitte. Entkoffeiniert.« Jake tauchte öfter zwischen durch auf, meist um Büro und Telefon zu entkommen. Sie goss ihm eine Tasse ein und rückte mit ihrem Besteck näher.
»Wissen Sie irgendwas Neues?«, fragte Jake, während er Zucker einrührte. Dell machte einen feinen Unterschied zwischen dem, was geredet wurde, und dem, was sie für wahr hielt. Die meisten ihrer Gäste dachten, sie plapperte einfach nach, was sie hörte, aber Jake wusste es besser. Nach fünfundzwanzig Jahren im Coffee Shop hatte sie viele falsche Gerüchte und glatte Lügen miterlebt und wusste, wie zerstörerisch sie wirken konnten. Trotz ihres Rufs war sie im Allgemeinen zurückhaltend mit dem, was sie sagte.
»Na ja«, begann sie langsam, »ich glaube nicht, dass Lettie sich mit diesen schwarzen Anwälten aus Memphis einen Gefallen tut.« Jake nickte und trank einen Schluck. Sie fuhr fort: »Warum hat sie die geholt, Jake? Ich dachte, Sie wären ihr Anwalt.« Sie sprach von Lettie, als würde sie sie schon ein Leben lang kennen. Dabei waren sie sich nie begegnet. Aber so war das in Clanton.
»Nein, ich bin nicht ihr Anwalt. Ich vertrete das Testament. Sie und ich stehen zwar auf der gleichen Seite, aber sie konnte mich nicht engagieren.«
»Braucht sie denn einen Anwalt?«
»Nein. Meine Aufgabe ist es, das Testament zu schützen und umzusetzen. Wenn ich meine
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