Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
Sicherheit auf Euren Wegen « , antwortete der Graf. Er schien nicht überrascht, dass sie den Gruß der Derai kannten. » Was bringt die Herolde der Gilde so weit in den Wall der Nacht? «
» Man hat uns mit einer Botschaft für Euch betraut « , antworteten sie. » Sie fällt unter das Siegel des Schweigens. Daher dürft nur Ihr sie hören oder Kenntnis von dem Absender erhalten. Niemand anderes darf befehlen, sie auszusprechen. «
Ein kollektives Zischen war zu hören, doch der Graf hob die Hand und befahl erneut Ruhe. » Tatsächlich? « , fragte er. Sein finsterer Blick maß die beiden vor ihm Stehenden, die einfach abwarteten. Malian lehnte sich fasziniert vor. Herolde der Gilde, hier, am Derai-Wall! Einen Moment lang glaubte sie sogar, dass ihr Vater die Tradition brechen und das Festmahl verlassen würde. Sie hielt den Atem an, stieß ihn aber beinahe enttäuscht wieder aus, als ihr Vater erneut sprach.
» Ihr habt einen langen, gefährlichen Weg hinter Euch, und ich werde Euch anhören, aber nicht jetzt. Dies ist ein Festmahl der Heimkehr, und unsere Bräuche verlangen, dass es nicht unterbrochen werden darf – es sei denn, wir würden angegriffen. Außerdem seid Ihr müde. « Er hob seine Stimme, damit jeder in der Halle ihn hören konnte. » Herolde der Gilde, ich heiße Euch als Gäste der Nacht willkommen. Esst nun und ruht Euch dann aus. Ich werde Eure Botschaft morgen früh anhören. «
Die Herolde verbeugten sich und sprachen erneut wie aus einem Munde. » Den Wünschen des Grafen soll entsprochen werden. Wir danken Euch für die Gastfreundschaft der Nacht. «
Die Derai-Zuschauer seufzten und wandten sich wieder ihrem Festmahl zu. Ein Knappe führte die Herolde zu einem Platz an einem der Feuer. Der Graf und sein Hausstand nahmen ebenfalls ihre Unterhaltung wieder auf, als ob nichts Ungewöhnliches geschehen wäre. Malian schob ein Stück getrocknetes Obst über ihren Teller. Offene Neugier war unter ihrer Würde als Erbin. Doch sie fühlte, dass das verstohlene Interesse in der Halle genauso groß war wie ihres. Sie war sicher, dass die Herolde es auch spürten.
Sogar auf dem Wall erzählte man sich eine Menge Geschichten über die Herolde der Gilde. Der Legende zufolge kamen die Herolde nur sehr selten ihren Pflichten nicht nach, ganz gleich, welchen Schwierigkeiten sie sich gegenübersahen, und sie offenbarten eine Botschaft nur dem vorgegebenen Empfänger. Man sagte auch, dass Herolde lieber starben, als dieses Vertrauen zu missbrauchen. Die Botschaft musste ziemlich wichtig sein, wenn man gleich zwei Herolde aussandte, die sich so weit von den Städten des Stroms entfernen mussten. Außerdem hatten die Derai ihr eigenes Kuriercorps, also musste die Botschaft von einem Außenstehenden stammen. Malian kniff die Augen zusammen und überlegte angestrengt, denn die Derai hatten nur wenig mit Außenstehenden zu tun.
Sie warf ihrem Vater einen Blick zu. Dieser hörte Gerenth zu. Sein Ausdruck war höflich, gab aber nichts weiter preis. Er sah so aus, als ob er die Herolde vollkommen aus seinen Gedanken verbannt hätte. Malian war aber sicher, dass das nicht der Fall war. Beinahe gegen ihren Willen wurde ihr Blick von den grau gekleideten Gestalten am Feuer angezogen. Sie sahen vollkommen normal aus und waren ganz ihrem Essen zugetan. Malian hatte allerdings den Verdacht, dass der äußere Schein trog. Wie als Antwort auf ihre Gedanken, hoben beide Herolde ihre Köpfe. Sie schaffte es nicht mehr wegzusehen. Die Blicke der Herolde trafen sich mit ihrem und waren scharf wie geschliffene Lanzen.
Malian wollte sich abwenden, doch das hätte so ausgesehen, als ob sie sich vor der Macht, die sie ausstrahlten, fürchtete. Also ließ sie sich zu einer Verbeugung herab; ein gemessenes Neigen ihres Kopfes, das von den beiden ebenso gemessen erwidert wurde. Dennoch konnte Malian diese Andeutung von Macht nicht abschütteln. Sie wollte mehr wissen, selbst mit ihnen sprechen. Doch in diesem Moment rief die Versammlung nach Haimyr. Das Geschrei verstummte zu erwartungsvollem Schweigen, als er sich erhob.
Malian sah aus dem Augenwinkel, dass sogar die grau gekleideten Herolde sich nach vorn beugten. Der Barde wartete und hielt jeden in der Halle mit seinem Schweigen gefangen. Dann berührte seine Hand die Saiten. Seine goldene Stimme erhob sich und riss alle mit der uralten Geschichte von Kerem Finsterhand und Emeriath der Nacht mit sich fort. Kerem war einer der älteren Helden der Derai; ein einsamer Jäger
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