Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
Blutes, einem der großen Kriegerhäuser und langjährigen Verbündeten der Nacht. Alle seine Familienmitglieder ohne Ausnahme waren seit unzähligen Generationen Krieger. Als sehr kleines Kind hatte er sich nichts mehr gewünscht, als aufzuwachsen und ihren Reihen beizutreten.
Kalans Gesicht wurde bei dem Gedanken an seine Familie noch finsterer. Er war das jüngste von sieben Kindern, irgendwie unter den anderen ein wenig verloren, aber dennoch geliebt. Bis irgendwann die alte Macht in seinem siebten Lebensjahr durchbrach. Kalan erinnerte sich immer noch an den kalten, verschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht seines Vaters und die Feindseligkeit seiner Geschwister, während sie die Zeremonie vollzogen, die ihn seiner Familie gegenüber für tot erklärte und ihn aus dem Leben im Haus des Blutes ausschloss. Das leise Klicken der Tür seines Elternhauses, die sich hinter ihm schloss, als das Ritual endete, war absolut und endgültig.
Sogar jetzt schmerzte die Erinnerung. Das Wissen, dass diese Vorgehensweise in den Kriegerhäusern weit verbreitet war, war Kalan egal. Ebenso, dass seine Familie ihn nicht dem Hungertod ausgesetzt hatte. Man hatte den Priester in der Feste benachrichtigt. Als die Tür sich hinter Kalan schloss, warteten draußen Wachen, die ihn in sein neues Leben begleiteten. Die Erkenntnis, dass die Feindseligkeit seiner Geschwister der Angst entsprang, sie könnten ebenfalls diesen priesterlichen Makel tragen, half ebenfalls nicht. Sieben Jahre später saß der Stachel dieser Ungerechtigkeit immer noch tief. In seinem Herzen schwelte die Wut gegen diese Vertreibung und gegen seine Geschwister. » Das ist nicht fair « , sagte er erneut. Er hatte es schon so viele Male gedacht. Er knirschte mit den Zähnen und ballte die Fäuste. » Unfair, unfair! «
Das Wort erinnerte ihn an etwas: Schwester Korriya, die oberste Priesterin des Tempels, die über ihre aristokratische Nase hinweg auf ihn hinabschaute, als er zum ersten Mal wagte, seine Meinung über sein ungerechtes Schicksal zu äußern. » Unfair? « , stieß sie hervor, » unfair? Ich wage zu behaupten, dass es das ist. Genau wie noch eine ganze Menge mehr in diesem Leben, wie du bald herausfinden wirst. Das Beste wird sein, dass du dich daran gewöhnst, junger Mann! «
Kalan musste zugeben, dass sie recht hatte – dennoch hasste er die Wendung, die sein Leben genommen hatte. Das Haus des Blutes war der extremste Kriegerorden, der bis auf eine absolut notwendige Mindestzahl alle, die die alte Macht besaßen, ins Exil schickte – üblicherweise in eins der Priesterhäuser. An manchen Tagen war Kalan dankbar dafür, dass der Tempel der Nacht zu wenig Novizen gehabt hatte. Auf die Weise war er immer noch ein Teil der ihm versperrten Kriegerwelt, wenn auch aus der Entfernung. Doch in Zeiten wie diesen erschien ihm sein Los viel härter.
Zunächst hatte seine Ablehnung sich in Streichen geäußert oder darin, den Lektionen und häuslichen Pflichten fernzubleiben. Damit hatte er sich eine Menge Strafen von Schwester Korriya eingehandelt, die für die Missetaten der Novizen ein gutes Auge hatte. Dennoch spürte Kalan in ihr auch Sympathie. Sie hatte die gestohlenen Stunden, die er mit Bruder Belan verbrachte, um den Geschichten der großen Derai-Helden zu lauschen, geflissentlich übersehen. Belan war der älteste der Priester und kannte alle Geschichten der Priesterin Errianthar und ihres Zwillingsbruders Telemanthar, die den Schwarm der Finsternis zurückgeschlagen hatten. Telemanthar, pflegte der alte Priester zu murmeln, trug das Schwert eines Helden, und Errianthar hatte mit ihrem Geist das Goldene Feuer herbeigerufen und dem anstürmenden Schwarm entgegengeschleudert. Belan konnte die Sage von Yorindesarinen ebenfalls rezitieren, obwohl seine Stimme schon brüchig war. Dann flüsterte er, dass Kerem Finsterhand, Kerem der Scharfsinnige, sowohl die alten Mächte als auch ein Schwert beherrscht hatte.
» Damals, in der guten alten Zeit « , dachte Kalan bitter, » als Krieger noch die alten Mächte hatten und Priester in Kampfkünsten ausgebildet wurden … vor dem Bürgerkrieg und der Spaltung der Häuser. «
Bruder Belan war vor drei Jahren gestorben und seine Geschichten, die das Licht und der Trost in Kalans Leben gewesen waren, mit ihm. Seitdem hatte Kalan sich noch weiter zurückgezogen. Er erforschte die weniger genutzten Bereiche des Tempelviertels und hatte ein Labyrinth aus Lagerräumen in der untersten Etage entdeckt. Dieses
Weitere Kostenlose Bücher