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Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Lowe
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Steinsäule standen und deren Haare vom Wind gepeitscht wurden – ein großer Kriegsspeer mit einer Klinge, die wie eine schwarze Flamme aussah, und eine Federkette, die dunkel schimmerte wie der Flügel einer Krähe. Der Speer sang ihm etwas vor, ein dunkles, eindringliches Lied von Gefahr, das im tiefsten Inneren seiner Existenz widerhallte.
    » Du bist verloren « , sagte Kalan. Er begegnete dem Speer unerwartet in einem Nebelschleier. » Du hast das Herz der Finsterschwinge durchbohrt und bist mit ihr ins Leere gestürzt. «
    Doch der Speer sang weiter und verfolgte Kalan durch seine Träume. Manchmal wurde das Gefühl der Bedrohung so niederdrückend, dass er kämpfte, um wach zu werden. Danach verbrachte er Stunden damit, die Steine zu zählen, aus denen seine Zimmerwände bestanden. Die Tage waren auch nicht viel besser, denn er konnte nicht mehr einfach kommen und gehen, wie es ihm gefiel. Schwester Korriya wollte, dass man ihn im Auge behielt. Deshalb konnte er nicht mehr allein davonschlüpfen: Bücherei oder Tempel, jede Minute seiner Zeit wurde genauestens überwacht. Er schlief sogar allein in der engen Klause, statt in dem Schlafgemach der Novizen.
    Schwester Korriya hatte gesagt, dass es zu seinem Besten wäre. Es seien immer noch dunkle Mächte am Werk, erklärte sie, und es gab schlimme Befürchtungen, was seine Sicherheit und die der Erbin anging. Er müsse Geduld haben und sich damit abfinden, dass er bewacht wurde, bis die Dinge sich wieder beruhigt hatten.
    Das Gesicht der Priesterin war von Erschöpfung gezeichnet. Denn der Hohepriester war bereits sehr alt und jetzt auch noch schwerkrank. Die Bürde, das Tempelviertel in Ordnung zu bringen, war ihr jetzt zugefallen und belastete sie sehr. Wie viele andere im Viertel trug sie immer noch den gehetzten Ausdruck derjenigen, die den Angriff der Finsterschwinge überlebt hatten. Obwohl Kalan nur schwer glauben konnte, dass eine solche Überwachung wirklich zu seinem Schutz diente – schließlich hatten sie den Angriff des Finsteren Schwarms abgewehrt und am Ende die Finsterschwinge getötet –, sagte er nichts. Schwester Korriya brauchte nicht noch die zusätzliche Belastung seiner Rebellion auf ihren müden Schultern, und außerdem fühlte er sich wegen des gehetzten Ausdrucks immer noch schuldig.
    Wieder und wieder ging Kalan das, was in der Nacht des Angriffs geschehen war, durch. Er fragte sich, aus welchem Grund er in die Alte Burg gegangen war. War das sicherer gewesen, als zurückzugehen und dort Gefahr und Tod ins Auge zu blicken? Vielleicht hätte er mehr tun können, um den Angriff der Finsterschwinge zu verhindern, mehr tun müssen. War das der Grund, fragte er sich, warum Ornorith ihr Gesicht abgewandt hatte und sich die Wände des Tempelviertels wieder um ihn schlossen?
    » Ich kann nicht widerspruchslos zu meinem alten Leben zurückkehren « , schwor Kalan dem schweigenden Raum. » Das werde ich nicht tun! « Die Tage zogen sich dahin, und seine Träume wurden immer schlimmer. Er wachte ständig erschöpft auf und stellte sich die Frage, ob in die Alte Burg zu gehen auch nur ein finsterer Traum gewesen war und der Ring an seiner Hand Teil eines schweren Verwirrungszustands.
    Der Traum, wegen dem er sich jetzt herumwälzte, war bisher der schlimmste. Gleichzeitig war er auch klarer als die anderen – außer dem ersten. Er fühlte sich, als ob er auf dem Rücken des Sturms vorwärtsgeschleudert würde. Die Finsternis war erfüllt von Todesschreien und Stimmen, die vor Entsetzen kreischten. Kalan konnte die Worte nicht genau verstehen, doch er erkannte die aufsteigende Panik und das Gefühl von Gefahr so deutlich, dass er beides fast schmecken konnte. Er wusste, dass er nach jemandem suchte, den er finden musste, aber nicht konnte. Jetzt hatte sogar er sich verlaufen … bis die Blindheit des Traums zerriss und er in einen Raum blickte, der reich in rotweiß ausgestattet, aber voller Schatten war.
    Eine Frau mit einem Narbengesicht saß in einem Sessel am Feuer und starrte abwesend in seine Tiefen. An der Wand bewegte sich ein Wandvorhang. Langsam kam ein dunkler Klumpen aus der Oberfläche des hängenden Stoffs hervor. Die Gestalten auf dem Wandbehang kräuselten und bewegten sich, als die Finsternis Gestalt annahm. Ein flacher Kopf schwang hin und her, um den Raum in Augenschein zu nehmen. Die Frau starrte weiter in die Flammen und bemerkte die Bewegung an der Wand nicht.
    Der pendelnde Kopf bewegte sich mit dem Luftzug, der durch

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