Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

konzentriert hatte. Der verpackte Speer steckte kopfüber neben dem schimmernden Luftschleier im Grasboden des Hügels. Die Hunde hatten sich darum geschart. Ihre Augen glühten immer noch rot, doch sie waren jetzt auf den Jagdmeister fixiert. Die Art, wie sie dastanden und ihre Köpfe hielten, signalisierte, dass sie – wenn auch widerwillig – ihm gehorchten. Kalan und der Meister gingen zurück. Die Hunde kamen, drückten sich an ihre Beine und scharten sich um sie. Dennoch knurrten sie weiter tief in ihren Kehlen den Sirenenwurm an. Sie warfen sich aber nicht mehr gegen die Barriere. Kalan behielt sie alle dennoch wachsam im Auge und stand so nah wie möglich bei dem Jagdmeister.
    Die große Gestalt mit dem schwarzen Umhang hob ihre Hand und legte sie gegen den Schleier. Dieser kräuselte sich und wurde dann klar wie Wasser. Kalan hatte das Gefühl, dass er nur seine Hand ausstrecken musste, um hindurchzugreifen und die rotweißen Möbel zu berühren. Zum ersten Mal konnte er auch das widerlich süße Lied des Sirenenwurms hören. Zwischen den süßen Tönen war ein Hauch Derbheit zu hören. Das erinnerte Kalan an eine Frucht, die in Ordnung schien, aber unter der Haut bereits verfault war.
    Dennoch war die Melodie verlockend und hypnotisierend. Kalan spürte, wie seine Konzentration wich und Teilnahmslosigkeit ihn ergriff, während das Lied von der unendlichen Attraktivität von Verderben und Zerfall flüsterte. Er sehnte sich danach, dass Hoffnung und Leben langsam dahinschwanden. Obwohl das silberne Feuer immer noch brannte, schien es blasser, verloren, lächerlich und unnütz. » Es ist dem Untergang geweiht « , murmelte Kalan. » Sie ist dem Untergang geweiht. Es gibt keine Hoffnung. «
    Die Krähe auf der Schulter des Jagdmeisters krächzte. Der misstönende Schrei schnitt durch die Benommenheit in Kalans Kopf. » Nicht nachgeben, Junge « , sagte der Jagdmeister. Seine Stimme war noch harscher als die der Krähe. » Du musst an erbauliche Dinge denken: den Freund, der dir in schweren Zeiten beisteht, und die unerwartete Freundlichkeit von Fremden. Halte dich daran fest, damit du der Verführung dieses Liedes nicht erliegst. Vertraue auch auf das Symbol. Denn wie der Armreif hat es die Kraft, dem Bösen zu widerstehen. «
    Kalan hob den Kopf und schüttelte die Trägheit und Verwirrung ab. Doch war er nicht der Einzige, der die Stimme des Jagdmeisters gehört hatte. Der flache Kopf des Sirenenwurms schwang herum und zischte herausfordernd. » Warum bist du hier, Jäger? « , verlangte der Wurm zu wissen. Seine Stimme war halb zischend, halb widerlich süß wie das Lied. » Wir wissen beide, dass du das Tor nicht passieren kannst, um in das Reich der Lebenden zu gelangen. Du bist weniger als ein Geist, der Schatten eines Schattens, der sich an die zerrissenen Ränder der Derai-Träume klammert. «
    » Denk, was du willst, du kleiner Kriecher « , antwortete der Jagdmeister. » Vielleicht tröstet es dich ja. Doch auch Träume können mächtig sein, genau wie Albträume, wenn man darin gefangen wird. «
    Der Wurm zischte erneut. Sein Kopf stieß in ihre Richtung vor und schwang dann zurück zum Bett, wo das Schutzfeuer weiterbrannte. Die Frau bei der Feuerstelle verharrte immer noch bewegungslos mit abgewandtem Gesicht. » Drohst du mir mit deinem Albtraumrudel? « , spottete der Sirenenwurm. » Sie sind machtlos, angebunden in Mayannes Netz. «
    » Meinst du? « , fragte der Jagdmeister leise. » Doch ich glaube, du hast das Tor der Träume bei der Verfolgung deiner Beute durchquert, und jetzt ist die Jagd erwacht. Die Frage ist … Wirst du in der Lage sein, hinterher wieder zurückzukehren? «
    Der Sirenenwurm sah kurz unsicher aus. » Das soll er auch sein « , dachte Kalan und schaute auf das begierige, blutrote Starren der Hunde. Dann zischte der flache Kopf und schwang sich in die Höhe. » Ich muss nicht fliehen, Jäger, solange ich das Mädchen töte. Und du kannst nicht aus dem Wandbehang treten, um mich aufzuhalten! Also sieh zu und verzweifle, während ich ihren Geist befreie, damit er gemeinsam mit dir in der Gefangenschaft zwischen den Welten und der Zeit wandeln kann. «
    Der Wurm schnellte zurück und begann, um den Ring aus silbernem Feuer herumzugleiten und diesen dabei in ein noch dickeres Band aus rauchigem Schatten zu wickeln. Bei dieser Bewegung sang der Wurm das Sirenenlied, dessen Stärke und Macht immer mehr anschwoll. Das silberne Feuer spuckte und sprühte Funken, die Hunde