Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

die seit Langem prophezeite Auserwählte des Verteidigers. Der Aufruhr war so groß, dass der Alte Graf gute Miene zum bösen Spiel machen musste. Bis heute weiß niemand, wie du dorthin gekommen bist. «
    Kalan pfiff leise, und Malian schüttelte den Kopf. Sie erinnerte sich an die Worte, die Garan gesprochen hatte, als er in der Spiegelhalle vor ihr kniete und seinen Schwur ablegte. » Erwählte, Schild von Mhaelanar, innig Geliebte der Neun. «
    So viele in ihrer Umgebung mussten die Geschichte gekannt haben, konnten jedoch nichts sagen, weil ihr Vater ihnen Schweigen befohlen hatte. Trotzdem hatte dieses Wissen ihre Reaktionen beeinflusst, als Malians Kräfte in der Alten Burg enthüllt worden waren.
    » Mir tut der Kopf weh « , sagte sie, » wenn ich an all das denke. «
    » Natürlich « , entgegnete Nhairin. » Und warum auch nicht, wenn mein Bein und mein Gesicht deswegen schon seit Jahren schmerzen. «
    Sie alle lachten leise, aber niemand widersprach Kyr, als er vorschlug, ein wenig zu schlafen, während er die erste Wache übernahm. Lira war immer noch nicht zurückgekehrt, und Malian konnte nicht schlafen. Ihre Gedanken kreisten um all das, was Nhairin und Kyr erzählt hatten. Sie wusste, dass auch Kalan wach lag. Er wartete auf Liras Rückkehr, damit er sich an seinem Schild versuchen konnte.
    Sie fragte sich, ob er sie wegen ihrer Familie bemitleidete. Ein Großvater, den ungezähmte Leidenschaft und Hass verzehrt hatten, eine gefallene Mutter, die im Exil gestorben war, ein Vater, dem die Einhaltung des Gesetzes mehr bedeutete als die Liebe seiner Familie und die Loyalität.
    Malian drehte sich auf die Seite. » Ich brauche kein Mitleid « , dachte sie, » schon gar nicht von einem Priesternovizen, den seine Familie und sein Haus ausgestoßen haben. «
    » Ja, das hätte dein Großvater auch gesagt. Er wollte nicht verstanden werden, und er verachtete jeden, der Mitgefühl oder Gnade zeigte. «
    Der Gedanke trieb in ihren Verstand, so zart wie Sternenlicht. Sie bemerkte, dass sie mit einer Hand den silbernen Armreif umklammerte.
    » Yorindesarinen? « , fragte Malian lautlos, aber die Stimme schwieg. Einen Moment später fielen ihr die anderen Stimmen auf, die leise miteinander sprachen. Sie hörte die Worte durch den Efeu, auf dessen anderer Seite Nhairin und Kyr zusammensaßen. Ab und zu begleitete ein metallisch kratzendes Geräusch ihr Gespräch. Anscheinend schärfte jemand eine Klinge.
    » Ich finde, Ihr seid zu hart mit dem Grafen ins Gericht gegangen « , sagte Kyr. » Er hat in einer schwierigen Situation sein Bestes gegeben. Das ist meine Meinung. «
    » Ihr müsst es ja wissen. « In Nhairins Worten lag eine seltsame Schärfe.
    Es gab eine Pause, dann antwortete Kyr. » Ich habe versucht, meine Pflicht gegenüber dem Haus und der Burg zu erfüllen, damals wie heute. «
    Er klang ein wenig verärgert.
    » Und doch habt Ihr Malian eben nicht gesagt, wo Ihr an diesem Tag gestanden habt. «
    » Wieso sollte ich alte Wunden wieder aufreißen? « Der Ärger war aus seiner Stimme verschwunden, nun klang er müde. » Der Alte Graf und Lady Nerion sind tot, lasst die Vergangenheit mit ihnen ruhen. «
    Als sie nichts sagte, fuhr er fort: » Trotzdem glaube ich nicht, dass Graf Tasarion sich an das Gesetz hält, weil er keine Leidenschaft besitzt, sondern weil er weiß, dass die Derai das brauchen. Nur deshalb konnte er anfangen, die alten Verbindungen wieder aufzubauen. Die Allianz hat erkannt, dass es ihm um mehr geht als seinen eigenen Vorteil oder den Vorteil der Nacht. Und würde ein leidenschaftsloser Mann diese Winterdame lieben? So sieht es jedenfalls aus. «
    Kyr machte eine Pause, und Malian stellte sich vor, wie er den Kopf schüttelte. » Obwohl ich zugeben muss, dass das seinen Verhandlungen mit den anderen Häusern eher schadet. «
    Nhairins Schweigen war ebenso aussagekräftig wie eine Antwort. Die Stille dehnte sich aus, und Malian begann, auf den nächtlichen Wind zu lauschen und die langsamen Bewegungen der Sterne zu betrachten. Ihre Finger schlossen sich um den Armreif, und sie erkannte, dass sie der Brise folgen konnte, so wie zuvor der Vision des Falken. Sie trieb mit ihr über die Hügelkuppe. Der leichte Wind zeigte ihr die gefallenen Steine unter dem Gras und die Spuren eines kleinen Tiers. Malian hörte Liras Schritte. Sie waren fast so lautlos wie die Brise. Die Wache schien auf dem Weg zurück zum Lager zu sein. Dann stieg Malian empor, hoch über die Hügel, bis sich ganz