Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Lowe
Vom Netzwerk:
Jaransor unter ihr ausbreitete, so wie unter den Flügeln des Falken.
    Es gab Macht in diesem Land. Sie floss wie ein Fluss dahin, doch tief versteckt in der Erde. Der verborgene Fluss kam nur auf der Hügelkuppe an die Oberfläche. In gleichmäßigen Abständen sprudelten dort seine Quellen. Nach einem Moment erkannte Malian, dass diese Quellen unter den Ruinen der Wachtürme lagen, die einst die Grenzen Jaransors geschützt hatten. Kyr hatte recht, die Ruinen waren Zentren der Macht. Doch dann wurde es auf einmal kalt, als Malian eine andere, fremde Macht spürte, die aufmerksam die Nacht durchsuchte.
    » Wo? « , fragte sich Malian. Sie zog sich zurück und wartete darauf, dass der Wind ihr die Antwort gab, was er schließlich auch tat. Er zeigte ihr das breite, dunkle Flussbett des Telimbras. Am westlichen Ufer des Flusses schien sich die Dunkelheit zu sammeln. Sie war undurchdringlich, sogar für die leichte Brise, die Angst bekam und floh.
    » Sie haben bereits den Telimbras überquert « , dachte Malian, während sie unter dem weißen Glitzern der Sterne dahinglitt. Sie sind in Jaransor.
    Sie erschauerte, denn sie war hin und her gerissen zwischen dem Flug ihres Geistes und ihrem Körper, den sie am Boden zurückgelassen hatte. Einen kurzen Moment lang spürte sie eine andere Präsenz, die sich hinter dem Wind versteckt hatte und von dem wirbelnden Staub der Grauen Lande verborgen wurde. Der Moment war so kurz, dass Malian ihn beinahe verpasst hätte – aber nur beinahe. Das Bild einer einsamen, in einen Umhang gehüllten Gestalt, die auf einem kleinen Pferd saß, dessen Schweif und Mähne vom Wind nach vorn geweht wurden, brannte sich in ihren Geist ein.
    » Wer? « , fragte sie sich atemlos, dann bemerkte sie, dass Kalan sich auf einen Ellenbogen stützte und zum Eingang sah.
    » Lira « , sagte er. » Ich glaube, sie ist zurück. «
    » Nein « , dachte Malian. » Nicht Lira, jemand anderes. Jemand, der den Verfolgern folgt. «
    Sie versuchte, die schwache Verbindung wiederherzustellen, aber die verborgene Präsenz war verschwunden. Nach einem Moment gab sie auf, denn Lira war zurückgekommen, und Kalan konnte mit seinem Schild beginnen. Der Rest konnte erst einmal warten. Seufzend rollte sich Malian in ihre Decke ein.
    Ein Kreischen, nicht von dieser Welt, zerriss die Nacht. Es war weit entfernt, trotzdem bohrte es sich wie ein Messer in den Kopf und schraubte sich in unmögliche Höhen empor, bevor es in einem langen, blubbernden Klagelaut endete. Die schwarzen Pferde bäumten sich verängstigt auf, und Malian fuhr hoch. Furcht ließ ihr Herz rasen.
    » Mögen die Neun uns gnädig sein « , schrie Nhairin heiser. » Sie haben eine Art Dämon dabei! «

27 Grenzmarkierung
    In der Nacht war ein dünner, schriller Wind aufgekommen, der beständig von Norden wehte. Er brachte eine kalte Dämmerung mit, die über die Grauen Lande kroch und die Grenzmarkierung erhellte. Lange bevor der erste Derai seinen Fuß auf die Welt Haarth setzte, hatte die Säule aus verwittertem Stein schon dort gestanden. Die eingemeißelten Inschriften hatten der Zeit nicht standgehalten. Niemand konnte sie mehr lesen, und niemand wusste, wer die Säule einst errichtet hatte. Mittlerweile diente sie als Grenzmarkierung. Sie zeigte an, wo der Einfluss der Derai aufhörte und die Straße, die durch sanftes Hügelland zu den Stromländern führte, begann – oder endete, je nachdem, wie man das sah.
    Das Land war ebenso gesetzlos wie trostlos, aber es gab zumindest einige Zwischenstationen entlang der Straße, die von den Händlern des Stroms, die mit den Derai Waren tauschten, betrieben wurden. Die letzte – oder erste – dieser Stationen verbarg sich in den sanften Hügeln rund um die Grenzmarkierung. Sie bestand nur aus einem Stapel Holz und einem Ring aus geschwärzten Feuersteinen. Das erste Tageslicht schlich sich in dieses Lager und enthüllte die erkaltete Asche eines Feuers. Jemand hatte zwei große graue Pferde an einem vom Wind gekrümmten Baum angebunden. Ihre Sättel und ein wenig Ausrüstung lagen auf den Ästen über ihnen.
    Die Reiter waren schwerer zu erkennen. Sie trugen graue Umhänge, saßen so reglos wie Steine zwischen den Schatten der Bäume und starrten in den Morgen. Der Wind riss an ihren Umhängen, doch ansonsten wirkten nur ihre Augen lebendig. Sie schienen das Sonnenlicht einzufangen, als es endlich über den Horizont kroch. Die Wärme der Sonne war hinter dem unheilverkündenden Dunst, der in der Luft

Weitere Kostenlose Bücher