Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

der härteste und unvernünftigste Mann, der je über die Derai geherrscht hat. Ein liebevolles Wort über Lady Nerion, ein Ausdruck der Loyalität ihr gegenüber hätte ihn nur noch angespornt. Er hätte Schwäche darin gesehen, und er hasste Schwäche fast ebenso sehr, wie er die Priester hasste und verabscheute. Ich war ebenfalls dort, Lady Malian « , fügte Kyr hinzu, » und Euer Vater tat das Richtige, als er das Gesetz beschwor und weder von Zuneigung noch Verwandtschaft oder Anstand sprach. Damit stellte er den Grafen automatisch auf die falsche Seite unseres eigenen Kodexes, zeigte ihm, dass er das Gesetz brach und die Ehre beschmutzte, die er hätte verteidigen müssen. Es klingt vielleicht enttäuschend, aber Euer Vater hat Schlimmes in diesem Raum abgewendet und Leben gerettet, die ansonsten verloren gewesen wären. «
    Malian zögerte. » Aber Kalan hat recht. Es wirkt schon sehr kalt, sich so auf das Gesetz zu berufen. «
    Kyr antwortete langsam und nachdenklich aus der Dunkelheit. » Nun, Lady Malian, Ihr seid die Erbin der Nacht. Man hat Euch sicher vieles über Geschichte und andere Dinge, mit denen sich Wachen nicht befassen müssen, eingebläut. Aber unten in den Kasernen erzählen wir uns auch die alten Geschichten: Ich habe den Eindruck, dass die Dinge für die Derai erst aus dem Ruder laufen – also richtig aus dem Ruder laufen wie beim Großen Verrat –, wenn ein mächtiger Lord oder Anführer glaubt, er stünde über dem Gesetz, das uns alle bindet. Wir hören auch eine Menge über die anderen Häuser. Anscheinend kümmert es viele Lords und Hauptleute nicht, was sie laut Gesetz zu tun und zu lassen haben. Euer Vater, Graf Tasarion, ist aber nicht so. Für ihn gibt es nur ein Gesetz, und das gilt für ihn ebenso wie für jeden einzelnen Untertanen. Es gibt keine Ausnahmen. Wenn ihn das zu einem kaltherzigen Mann macht, dann ist es eben so, aber seine Kälte ist mir zehn Mal lieber als die blutige Leidenschaft seines Vaters. «
    Malian hörte, wie er ausspuckte, als wolle er seinen Worten Nachdruck verleihen, und dann hinzufügte: » Außerdem würde ich ihn nicht als kalt bezeichnen. Wie seht Ihr das, Nhairin? Ihr kennt ihn schließlich länger als ich. «
    Die Hofmarschallin verlagerte ihr Gewicht, so als wolle sie ihr Bein entlasten. » Als wir jung waren, hätte ich ihn auch nicht so genannt, aber heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Das Gesetz hat zwar Nerion an diesem Tag das Leben gerettet, aber sie wurde trotzdem weggeschickt. Das Exil hat sie umgebracht, so wie es das Schwert des Alten Grafen getan hätte. Es war vielleicht ein kalter Tod und kein leidenschaftlicher, aber tot ist tot. Und wir sind nur deshalb hier, weil der Graf das gleiche Gesetz einhalten und Malian ins Exil schicken wollte, was vermutlich nicht anders ausgegangen wäre. «
    Der Wachmann grunzte. » Das stimmt. Aber ich glaube immer noch, dass er damals keine andere Wahl hatte. Er musste an Malian und das Haus der Nacht denken. Außerdem könnte man argumentieren, dass die fehlenden Gesetze an dem Ort, an den Lady Nerion geschickt wurde, zu ihrem Tod führten. Für diese Schande muss sich das Haus der Unnachgiebigkeit verantworten. « Kyr räusperte sich. » Und er hat Euch verschont, Nhairin, obwohl er seine Frau nicht retten konnte. «
    » Was soll das heißen, Nhairin? « , fragte Malian, als die Hofmarschallin nicht antwortete.
    » Er bezieht sich auf das Ende meiner traurigen Geschichte « , sagte Nhairin, wenn auch zögernd. » Der Alte Graf warf mich ins Gefängnis, weil ich mich ihm an der Tür widersetzt hatte. Dort wäre ich geblieben, bis meine Wunden mich umgebracht hätten oder ich als Verräterin hingerichtet worden wäre. Doch der Graf lebte nicht mehr lange. Ich nehme an, dass er Opfer seiner wilden Leidenschaften wurde. Als Tasarion Graf wurde, ließ er mich frei und machte mich zur Hofmarschallin. Den Rest kennt ihr. «
    » Nicht ganz « , sagte Kalan. » Wohin war denn Malian verschwunden? «
    » Ah « , begann Nhairin, » das ist ein echtes Rätsel. Die ganze Burg wurde durchsucht, aber Malian blieb verschollen. Ein Priester, der an diesem Abend das heilige Feuer am Altar von Mhaelanar erneuern wollte, fand sie schließlich. Sie lag auf dem heiligen Schild des Verteidigers, als wäre es eine Wiege. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Krieger wie Priester sahen darin ein Zeichen der Neun. Sie glaubten, du, Malian, seist ein Schützling der Götter. Einige sagten sogar, du seist