Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
sich auf die andere Seite des Feuers unter ihre eigene Decke und verschränkte die Arme. Der Schein der Flammen brachte die uralten Zeichnungen zum Tanzen. Malian dachte an Kyr und Lira, die vielleicht tot waren oder verwundet und versuchten, den Sturm zu überstehen. Sie ballte die Fäuste, als sie sich an Nhairin erinnerte.
» Ich weiß nicht, was ich mehr hasse « , sagte sie langsam, » den Gedanken, dass Nhairin wirklich unsere Feindin war und uns vielleicht verraten hätte, oder dass sie es nicht ist und irgendwo dort draußen in dem schlechten Wetter umherirrt. «
Kalan schwieg, und sie fragte sich, ob er eingeschlafen war. Als er schließlich antwortete, erkannte sie, dass er nur über seine Worte nachgedacht hatte.
» Da war immer schon etwas in Nhairin, das an ihr genagt hat, aber ich habe das erst erkannt, als wir nach Jaransor kamen. « Er zögerte. » Ich glaube, am Ende war sie wirklich verrückt. «
Malian erschauerte, nicht nur wegen des Wahnsinns, sondern weil sie spürte, dass Kalan recht hatte. Der Einfluss Jaransors hatte etwas aus Nhairin hervorgelockt, das gut verborgen schon immer dort gelauert hatte. Sie wagte es nicht, Kyr und Lira zu erwähnen, so als würde allein das Gespräch über das, was womöglich geschehen war, das Schlimmste Wirklichkeit werden lassen.
» Wir können nur hoffen « , dachte sie, » und ihre Taten durch unser Überleben ehren, denn das hätten sie gewollt. «
Trotz all der Angst und der Gefahren, die der Tag mit sich gebracht hatte, entspannte Malian sich langsam – doch dann sorgte ein neuer Gedanke dafür, dass sie sich auf einen Ellenbogen aufstützte. » Kalan, was ist mit dem Schild? Meinst du, der hält auch, wenn du schläfst? «
Sie erhielt keine Antwort, sondern hörte nur Kalans rhythmischen Atem und das Knistern des Feuers unter der Stimme des Windes. Malian setzte sich auf und legte Holz nach.
» Na gut « , sagte sie zu den Flammen, den dösenden Pferden und dem nächtlichen Jaransor, » wir werden es wohl herausfinden. Aber einer von uns sollte wach bleiben. «
29 Reise durch die Schatten
Eine Tagesreise entfernt erhoben sich die Ruinen eines weiteren Wachturms aus den tiefhängenden Wolken und den Schneeschauern. Die dunkle Gestalt des Mannes, der daneben stand, warf keinen Schatten auf den verfallenen Steinen.
Tarathan, der im Tor der Träume stand, kam es so vor, als braue sich ein gewaltiger Sturm der Macht über Jaransor zusammen. In der tatsächlichen Welt war er wohl noch nicht ausgebrochen, doch hier im Reich jenseits des Tors heulte er durch Jaransor. Er spürte die Diener des Schwarms, die wie die Dunkelheit über das Land krochen, und die Aura des Geistraubtiers, das sie mitgebracht hatten. Sein Hunger und sein Durst nach Blut lagen in der Luft, doch er hinterließ keine Spuren, denen Tarathan hätte folgen können. Doch stärker als alles andere fühlte er die düstere Präsenz des Sturms. Tarathan wusste längst, dass nicht nur natürliche Kräfte in ihm wirkten. Störungen, die sich auf die tatsächliche Welt beschränkten, hinterließen keine Spuren jenseits des Tors der Träume.
Die Reise jenseits des Tors war durch die gewaltige Ballung von Energien langsam und gefährlich gewesen. Er war umhergeschleudert worden wie ein Blatt in einer Flutwelle, hin und her geworfen zwischen den Kräften. Tarathan hielt es für wahrscheinlich, dass er sich in den Turbulenzen verlaufen hätte, wären da nicht zwei Faktoren gewesen: Zum einen war er immer noch mit Jehane Mor weit, weit hinter sich verbunden, zum anderen boten ihm die Wachtürme Schutz. Sie waren wie Inseln im Strom der Macht.
Tarathan war sich nicht sicher, ob er selbst zu diesem Turm gefunden hatte, oder ob er von ihm aus der Flut gezogen worden war. Einen gefährlichen Moment lang hatte er gespürt, wie sich seine Geistpräsenz aufzulösen begann, im nächsten hatte er bereits im Schatten des Turms gestanden und wie durch einen Schleier in die tatsächliche Welt von Jaransor geblickt.
Der Herold wartete und sammelte seine Kräfte, bevor er sein Bewusstsein erneut ausdehnte. Er sah den dünnen Faden seiner Verbindung zu Jehane Mor, der sich hinter ihm von einer Insel zur nächsten spannte und ihm den Weg zurück wies – und er beobachtete, wie die beiden Landschaften von Jaransor einander auf dieser und der anderen Seite des Tors reflektierten.
» Dann stimmt es also, was die Geschichtenmeister sagen « , dachte Tarathan. » Diese Hügel existieren gleichzeitig in der
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