Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
bemerkte Nhairin. Malian bemerkte bestürzt, dass sich der Schatten wieder über Gesicht und Augen der Hofmarschallin gelegt hatte.
Kalan nickte misstrauisch. Nhairin zügelte ihr Pferd neben ihm. » Welche anderen Fähigkeiten besitzt du noch? « , fragte sie. » Was verbirgst du vor uns, damit du uns ausspionieren kannst? «
» Nhairin! « , stieß Malian hervor. » Hör auf damit! Kalan ist unser Freund, kein Spion. «
» Dein Freund vielleicht, aber nicht meiner « , antwortete Nhairin. » Er hat nichts Gutes mit mir vor, nicht wahr, Junge? «
Ihr Pferd begann, nervös zu tänzeln. Sie führte es noch näher an Kalan heran und ignorierte die langen Wolkenfinger, die sich um sie und ihn krümmten. Dunkel und angespannt starrte sie Kalan an.
» Der kleine Priester hat gestern gesagt, umzukehren sei ausgeschlossen « , sang Nhairin. » Vielleicht würde er sogar den Tod vorziehen. Nun, das lässt sich arrangieren. «
» Nein! « , schrie Malian. Mit einem Tritt drängte sie ihr Pferd vorwärts. Ein langes Messer lag plötzlich in der Hand der Hofmarschallin. Nhairins Pferd stieg und wieherte schrill, als die Hofmarschallin versuchte, es mit einer Hand unter Kontrolle zu bringen. In der anderen hielt sie immer noch das Messer. Die Klinge war scharf und gefährlich. Das schwarze Pferd tänzelte zur Seite, weg von Malian. Kalan drängte sein eigenes Pferd in die Lücke und zwang Malian auszuweichen.
» Weg! « , schrie er.
Malian wollte eine Warnung oder eine Weigerung ausstoßen, aber ihr Pferd machte bereits einen Satz nach vorn. Sie hörte Nhairin brüllen, dann einen Schrei von Kalan, während sie noch versuchte, sich umzudrehen, um zu sehen, was hinter ihr geschah. Aber sie sah nur etwas verschwommen Schwarzes – und dann galoppierte Kalan bereits hinter ihr her, geduckt und an den Hals seines Pferdes gepresst. Sie donnerten in das Meer aus Wolken hinein. Es war so dicht, dass es sich schon bald in ein undurchdringliches Grau verwandelte und die Pferde zwang, sich vorsichtig ihren Weg zu suchen. Der Nebel flog in langen Schwaden an ihnen vorbei, aber er riss nicht auf. Schließlich blieben die Pferde stehen.
Malian und Kalan saßen reglos im Sattel und lauschten, aber außer dem Heulen des Windes rund um die Gipfel war nichts zu hören.
» Was ist geschehen? « , flüsterte Malian. » Wieso folgt sie uns nicht? «
» Ich habe dem Pferd meinen Umhang ins Gesicht geworfen « , flüsterte Kalan zurück. » Es hat gescheut und ist vom Pfad abgekommen. Ich habe nicht gewartet, bis es sein Gleichgewicht wiederfand, sondern bin dir hinterhergeritten. «
Malian schüttelte den Kopf. » Ich kann nicht glauben, dass sie dich töten wollte. «
Kalan legte die Arme um seinen Oberkörper. » Der alte Wahnsinn muss über sie gekommen sein. «
» Wahrscheinlich « , sagte Malian betroffen. Am liebsten hätte sie den Kopf in den Nacken geworfen und geheult, aber sie zwang sich zur Ruhe. Sie musste darüber nachdenken, was als Nächstes zu tun war. Kalan hing in seinem Sattel. Sie beugte sich durch das Grau zu ihm hinüber. » Du bist verletzt, oder? Hat dich die Klinge getroffen? «
» Unter dem Arm « , sagte er leise. » Nhairin hat in dem Moment zugestoßen, in dem ich den Umhang warf. Es ist keine tiefe Wunde, aber sie tut sehr weh. «
» Wir brauchen einen Unterschlupf für dich « , sagte Malian. » Wir reiten zum nächsten Turm. Dort werden wir schon irgendwas finden. Nimm meinen Umhang. «
Kalan nickte. Sein Gesicht war weiß und vom Schmerz gezeichnet. Er verweigerte den Umhang nicht. Malian reichte ihn Kalan, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Die Kälte fuhr durch ihre Jacke, und sie begann zu zittern.
Sie kamen nur langsam voran, die Wolken schienen sich nicht heben zu wollen. Kalan schwankte in seinem Sattel. Er hatte die linke Hand unter den rechten Arm gepresst. Schließlich stieg Malian ab und führte beide Pferde an den Zügeln den Weg entlang, den Blick stets nach vorn auf das kurze Stück, das sie sehen konnte, gerichtet. Es kam ihr so vor, als bewegten sie sich wieder durch den Nebel zwischen den Welten, nur dass es dieses Mal keine Hoffnung auf Rettung gab: keine Yorindesarinen, die an ihrem kleinen Feuer saß, kein Herold, der aus den Flammen trat, keine Asantir, die hinter einer Tür in der Luft wartete.
Und keine Nhairin. Malian verdrängte den Gedanken. Sie durfte nicht an Nhairin denken, bis sie Kalan in Sicherheit gebracht hatte. Der Tag und das Meer aus Wolken schienen
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