Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Lowe
Vom Netzwerk:
standen, waren zwei weitere gepanzerte Krieger den Pfeilen der Derai zum Opfer gefallen. Eine dritte Leiche lag ein Stück entfernt neben einem toten Pferd. Ganz offensichtlich hatte jemand die Ruinen als Deckung genutzt und Katz und Maus mit den berittenen und deshalb benachteiligten Verfolgern gespielt. Doch schließlich hatten sie die Bogenschützin doch erwischt.
    » Sie muss bis zum Ende gekämpft haben « , vermutete Tarathan, » denn sie liegt auf dem Rücken. « Eine Lanze hatte ihren Magen durchbohrt. Ihr Körper war verkrümmt, so als hätte ein Pferd sie niedergetrampelt. Er sah den Schatten ihres Blutes am Boden und dachte, wie bemerkenswert es war, dass er sie so gut erkennen konnte. Sie erschien ihm beinahe zu klar für die Welt der Träume. Erst als er neben ihr niederkniete, erkannte er, dass die Wache, die Lira genannt wurde, noch lebte.
    » Gerade noch « , dachte Tarathan, als er das beinahe schwarze Blut sah, das aus ihrem Mundwinkel lief, und die schreckliche Wunde in ihrem Bauch. Er wusste, dass man ihr nicht mehr helfen konnte, weder in Jaransor noch jenseits des Tors der Träume. Doch zur Überraschung des Herolds öffnete sie langsam die Augen und sah ihn an. Es verwunderte ihn nicht, dass sie ihn sehen konnte, nicht nur, weil sie in Jaransor waren, sondern vor allem, weil es sich beim Tor der Träume um ein Geisterreich handelte und von Lira fast nur noch ihre Seele übrig geblieben war. Trotzdem musste er sich zum Schatten ihres Mundes herunterbeugen, sonst hätte er ihre Worte nicht verstanden.
    » Malian … südlich … « Ihre Stimme war beinahe lautlos. Lira nahm den Blick nicht von seinem Gesicht, so als wäre er die Rettungsleine, an der sie sich festklammerte. Zu jedem Wort musste sie sich zwingen. » Rette … Erbin … hüte … Verrat … rette … «
    Ihre Stimme erstarb, und ihr Blick verschwamm. Tarathan nahm die Schatten ihrer Hände in die seinen. » Sei zuversichtlich, Lira von den Derai « , sagte er. » Wir werden alles tun, was wir können, um die Erbin zu finden und zu retten. «
    Ihr Blick kehrte mit schmerzhafter Intensität zu ihm zurück. » … dein Wort … Herold … gib … dein Wort … «
    » Ich gebe dir mein Wort « , sagte er fest. » Du kannst in Frieden gehen. Kann ich noch etwas für dich tun? «
    Ein Lächeln umspielte Liras Lippen, aber er musste sich noch weiter herabbeugen, um ihr Flüstern zu verstehen.
    » … Abschiedskuss … «
    » Es ist mir eine Ehre « , entgegnete Tarathan sanft, » eine Frau zu küssen, die so tapfer und so wahrhaftig ist. «
    Das geisterhafte Lächeln wurde breiter, als er sie ganz sanft auf den Schatten ihres kalten Mundes küsste. Ihre Lippen öffneten sich, als wolle sie noch etwas sagen, doch kein Wort verließ ihren Mund.
    Tarathan legte seine Hand auf ihr Schattenhaar. » Leb wohl, Lira von den Derai « , sagte er leise. » Du bist tapfer gestorben. Nun muss ich mein Wort halten und die Erbin der Nacht finden und retten – wenn ich das vermag. «
    » Hab keine Angst « , sagte Jehane Mors Stimme deutlich in seinem Geist. » Wir werden sie auf die eine oder andere Art finden, ob im Leben oder im Tod. «
    Tarathan fuhr herum, doch er sah nur den filigranen Faden, der sie miteinander verband. Er war so fein wie ein Spinnennetz. Er wollte ihm folgen, doch die Verbindung wurde schneller wieder eingeholt, als er erwartet hatte. Die Wachtürme schossen unter ihm vorbei, und Tarathan fragte sich, ob das Tor der Träume genug von ihm hatte, oder ob Jaransor dafür verantwortlich war. Er fühlte, wie Jehane Mors Substanz zunahm und ihm Halt gab. Beinahe hätte er das Glimmen der Macht, kaum mehr als ein Glühwürmchen in den endlosen Hügeln unter ihm, übersehen, doch er entdeckte es kurz bevor er den Anker seines Körpers erreichte.
    Er öffnete die Augen und sah in Jehane Mors Gesicht unter einem wolkenverhangenen Himmel.
    » Ich glaube, ich habe sie ganz am Ende gefunden. « Er sprach laut, um nach der langen Stille seine eigene Stimme und die ihre zu hören. » Es war nur ein kurzer Blitz, aber sie leben und sind uns näher als zuvor. «
    Sie nickte. » Du warst lange weg, aber wir können die verlorene Zeit wettmachen, wenn wir den Fluss gleich überqueren und so lange weiterreiten, bis uns entweder die Nacht oder das Wetter zur Rast zwingt. Allerdings glaube ich, dass der Sturm uns hier im Süden erst morgen erreichen wird. «
    Tarathan sah, dass sie die Pferde bereits herangeführt hatte. Sie war bereit zum Aufbruch.

Weitere Kostenlose Bücher