Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Brünns ebenso davon wie die ruinierte Sankt-Peters-Kirche auf dem Petershügel in der Stadt, die ausgebrannt und deren Türme von den Kanonen der Schweden zum Einsturz gebracht worden waren. Nicht wenige Novizen des Klosters waren Waisen, deren Elternwährend der Belagerungen ermordet worden waren. Wenzel hatte die barmherzige Aufnahmepolitik seines Vorgängers Georg von Hornstein fortgesetzt, mit dem Ergebnis, dass ein großer Teil seiner Mönche die Schrecken des Krieges am eigenen Leib erfahren hatte und entschlossen war, weitere Schandtaten nicht mehr zuzulassen. Für Wenzels Ziele war es von Vorteil, dass man in halb Mähren überzeugt war, die Mönche von Raigern seien Charaktere, die sich nichts gefallen ließen.
Wenzel hatte die Politik Georg von Hornsteins auch noch in einem anderen Zusammenhang fortgesetzt, so wie dieser wiederum von seinem Vorgänger, Daniel Kavka, eine Aufgabe geerbt hatte. Vor Daniel Kavka war das jahrhundertealte Benediktinerkloster aufgelassen gewesen und seine Güter verkauft – die protestantischen Stände hatten nach 1618 auch im bislang halbwegs neutralen Mähren die Macht übernommen und sich an den katholischen Einrichtungen gerächt. Die Niederlage am Weißen Berg hatte diese kurzlebige Vorherrschaft gebrochen, und auch Raigern war wiederauferstanden; aber mit einer Aufgabe, die es bisher noch nicht innegehabt hatte. Wenzel holte Luft. Gleich nach seiner nie erloschenen Liebe zu Alexandra und seiner Loyalität seiner Familie gegenüber besaß ein ganz besonderer Trakt des Klosters sein Herz.
»Und denk bloß mal an Jankau«, sagte einer der beamteten Mönche. »Ich meine, wenn du schon fragen musst, wie es möglich sein kann, dass die Herren Friedensverhandlungen führen und der Krieg trotzdem weitergeht. Die kaiserlichen Truppen haben vor Jankau eine Schlacht geführt, um die Schweden unter General Torstenson aufzuhalten. Über zehntausend Tote, mein Freund. Torstenson hat seine Soldaten nach dem Sieg drei volle Stunden auf dem Schlachtfeld herumlaufen und die Verwundeten und die kaiserlichen Soldaten, die sich ergeben hatten, erschlagen lassen. Auf dieseWeise wollte er vermeiden, dass sie jemals wieder gegen ihn kämpfen würden. Allein auf kaiserlicher Seite gab es achttausend Tote.«
»Wann war das?«, fragte der junge Mönch.
»Anfang 1645, ein paar Wochen bevor General Torstenson vor Brünn aufzog«, sagte Wenzel.
»Also nachdem die Verhandlungen in Münster schon begonnen hatten«, erwiderte der junge Mönch und verzog den Mund. Seine Augen waren schmal.
»Und zwar in Saus und Braus«, bestätigte der beamtete Bruder. »Während man gleichzeitig aus Pommern, Franken und der Pfalz hörte, dass die Menschen Hunde und Katzen aßen und dass, wer nicht an der Pest starb, verhungerte.«
»Ich habe sogar gehört«, erklärte einer, »dass man Reisende erschlug und kochte und dass man die Toten aus den Gräbern holte und verzehrte.«
»Das ist ein Gerücht«, erklärten mehrere Stimmen gleichzeitig.
»Es gibt einen Brief des Rats der Stadt Coburg an den schwedischen Oberst Wrangel«, sagte Wenzel, nachdem die Zwischenrufe verstummt waren. »In dem heißt es, dass die Zustände in der Gegend so schlimm seien, dass Hunde, Katzen, Mäuse, Ratten, jegliches Aas, Bucheckern, Eicheln, sogar Gras verzehrt würden – und dass Mütter ihre todgeweihten Neugeborenen schlachteten und ihren Familien zu essen gäben. Ich habe das von unseren Brüdern in benedicto in Münsterschwarzach gehört.«
Sie sahen ihn mit großen Augen an. Im Hintergrund würgte jemand.
»In der Pfalz«, fuhr Wenzel unbarmherzig fort, »holen sie die verurteilten Verbrecher vom Galgen oder vom Rad, um sie zu verspeisen. Bei Worms wurde eine riesige Bande von Wegelagerern aufgestöbert; in ihren Kesseln fand man die Überreste von gekochten menschlichen Gliedmaßen.«
»O Herr, schenke ihnen allen den Frieden und deine Barmherzigkeit …!«
»Amen«, sagte Wenzel. »Ich habe das nur erzählt, um euch allen bewusst zu machen, dass in diesem Krieg Gott auf keiner Seite steht. Wenn die Friedensverhandlungen erneut scheitern, ist dies das Ende von allem, was wir kennen. Seit die Verhandlungen begonnen haben, sind die Franzosen in Württemberg und Schwaben eingefallen und haben die Schweden hier bei uns und in Bayern gewütet wie Teufel in Menschengestalt, dass sogar Kurfürst Maximilian von Bayern die Seite von Kaiser Ferdinand verließ und mit den Schweden separate Friedensverhandlungen führte. Er hat den
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