Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Wucht zu. Der Türflügel schnappte auf und kollidierte mit etwas, das sich mit einem überraschten »Autsch!« auf den Hosenboden setzte. Wenzel war um den Türflügel herum, bevor dieser Zeit hatte, ihm erneut entgegenzukommen.
»Du hast beinahe das Talent deines Vaters geerbt«, sagte er zu dem Mann, der vor ihm auf dem Boden saß und sich eine beginnende Beule an der Stirn rieb. Sein breitkrempiger Hut lag eindellt neben ihm auf dem Boden.
Melchior Khlesl, der jüngste Sohn von Cyprian und Agnes Khlesl, blickte auf und spähte dann über die Schulter zu den beiden Brüdern, die gemerkt hatten, dass etwas nicht stimmte, und sich beim Zurückrennen gegenseitig zu überholen versuchten.
»Ich dachte, eine kleine Überraschung würde euch und eurem friedlichen Klostertrott nur guttun«, sagte er.
»Hier gibt es keinen friedlichen Klostertrott«, entgegnete Wenzel und streckte Melchior die Hand hin, der sich daran in die Höhe zog. Wenzel ging um ihn herum und hob seinen Hut auf. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er zu den anderen. »Eine Prüfung für eure Wachsamkeit.«
»Wie haben wir abgeschnitten?«, fragte der Torhüter eifrig.
»Hervorragend«, brummte Melchior und rieb sich die Stirn. Wenzel betrachtete ihn aus dem Augenwinkel und lächelte. Melchior mit dem schlanken Wuchs, den langen Gliedern, dem hübschen Gesicht und dem kecken Kinnbart sah seinem Vater Cyprian in nichts ähnlich, und dennoch musste Wenzel manchmal blinzeln, wenn er ihn ansah, weil sich ständig Cyprians Anblick vor Melchiors schob. Er besaß die anscheinend ruhige Nachdenklichkeit seines Vaters, von der man sich täuschen lassen konnte, wenn man nicht in seine Augen sah und das lebhafte Blitzen darin erkannte. Vorallem aber war Cyprians Loyalität gegenüber seinem Onkel Kardinal Khlesl in Melchior wiedergeboren – als hätte die Namensgebung gar nichts anderes zugelassen. Nur dass das Gespann, in dem einer sich auf den anderen verließ, diesmal aus Probst Wenzel von Langenfels und Melchior Khlesl dem Jüngeren bestand.
»Du hättest mich ruhig einholen können, zu zweit marschiert es sich besser«, sagte Wenzel.
»Du hast mich abgehängt, als du beschlossen hattest, durch die halbe Nacht weiterzulaufen.«
»Gibt es Neuigkeiten?«
»Es gibt ein Gerücht, dass schwarze Mönche das Land unsicher machen … finstere Männer, völlig rücksichtslos, die jedem den Garaus machen, der sich ihnen in den Weg stellt, und die einen Menschen mit einem Blick und einem Fingerstupser töten können. Angeblich versteckt sich der Teufel selbst unter der Kutte des Anführers.«
»Davon habe ich noch nichts gehört«, erklärte Wenzel.
»Na, jetzt weißt du’s«, sagte Melchior mit unbewegtem Gesicht.
»Ich werde den Burschen aus dem Weg gehen. Was gibt es aus Prag zu berichten?«
»Nichts Gutes«, sagte Melchior.
Wenzel und Melchior wechselten Blicke. »Gehen wir in die Bibliothek«, sagte Wenzel und entließ seine Mönche mit einem freundlichen Kopfnicken.
Der Raum war riesig, eine Kathedrale der Bücher, ein Dom des Wissens, ein Tempel des geschriebenen Wortes. Säulenreihen stemmten eine Decke in die Höhe, die in einem weit ausgreifenden Bogengewölbe mindestens fünf Mannslängen hoch über dem Boden hing. Es gab die üblichen Tonröhren, die eingerollte Pergamentdokumente schützten, Stöße gelochten und mit Schnüren zusammengebundenen Papiers, die oben und unten von Holzdeckeln gehalten wurden, dicke,unförmige Lederbündel, in die zerfallende Codices eingehüllt waren. Es waren Tausende. Sie lehnten zu Stapeln geschichtet an den Wänden und bildeten kleine Gebirgslandschaften aus Gelehrsamkeit, die sich vom Steinboden der Bibliothek erhoben.
»Weit seid ihr noch nicht gekommen«, sagte Melchior.
»Wir katalogisieren noch. Anfangs dachte ich, dass meine Vorgänger nicht genug Energie in die Bibliothek gesteckt hätten, weil sie immer noch so unordentlich aussah wie nach der Schlacht am Weißen Berg, als der König das Kloster an den Benediktinerorden zurückgab. Heute habe ich das Gefühl, dass sie sogar noch unordentlicher ist als damals vor fast dreißig Jahren.«
»Dein Gefühl täuscht dich nicht«, sagte Melchior.
»Na, vielen Dank.«
Es war dieser Klostertrakt, der Wenzels Herz erobert hatte; er und die Aufgabe, welche die Pröbste von Raigern übernommen hatten, seit Daniel Kavka das von protestantischen Eiferern verwüstete Kloster unter seine Obhut genommen hatte. Probst Daniel hatte damit angefangen, die Abtei zu
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