Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Tod geritten.
Königshof bestand aus einem verlassen wirkenden Schloss und einigen Häusern, die sich darum herum gruppierten.Die Straße führte hindurch und an einer gedrungenen Kirche vorbei, die sich in einigermaßen gutem Zustand befand, weil sie vermutlich von den Schlossbesitzern für den Gottesdienst benutzt wurde und es im Herrschaftsgebäude selbst keine Kapelle gab. Später sollte Alexandra erfahren, dass der Ort und die ganze Umgebung der Familie Lobkowicz gehörten, und sie erschauerte noch nachträglich. Der ehemalige Reichskanzler Zdenek von Lobkowicz, dessen Amt nun seit zwanzig Jahren Wilhelm Slavata innehatte, war stets ein treuer Verbündeter der Familien Khlesl und Langenfels gewesen, doch für Alexandra verbanden sich mit dem Namen immer das bleiche, engelsgleiche Antlitz seiner Frau Polyxena und die schrecklichen Erlebnisse in Pernstein. Vor der Kirche befand sich eine Gruppe von etwa fünfzig Menschen, die wild durcheinanderredeten. Als Alexandra abstieg und ihr Pferd hinter sich herzog, sah sie, dass vollbeladene Karren herumstanden; auch die Menschen selbst waren aufgepackt, und nicht wenige schienen alle Kleider, die sie besaßen, übereinander angezogen zu haben. Auf einem der Karren saß eine hochschwangere Frau und atmete mühsam. Am jenseitigen Ortsrand muhte, meckerte und gackerte eine unwahrscheinliche Herde aus zwei Kühen, zwei Dutzend Ziegen und einer hektischen Schar Gänse und Hühner. Das Gespräch verstummte, und alle Augen wandten sich Alexandra zu.
»Ich brauche nur etwas Futter und frisches Wasser für mein Pferd«, sagte Alexandra. »Ich kann nicht bezahlen, aber ich kann für Firma Khlesl, Langenfels, Augustýn & Vlach in Prag siegeln und dafür sorgen, dass alle Auslagen …«
»Hier finden Sie nichts«, entgegnete ein Mann und schüttelte den Kopf.
Alexandra deutete auf einen der Karren, wo unter Sackleinen und Decken ein Bündel Heu verschnürt war. Der Mann schüttelte den Kopf erneut. »Das brauchen wir selber.«
»Was haben Sie vor? Wollen Sie Ihr Dorf verlassen?«
Die Mienen der Umstehenden wurden plötzlich abweisend. »Wer will das wissen?«
Alexandra hob beide Hände. »Entschuldigen Sie. Ich bin nur hier wegen meines Pferdes.«
Jemand drängelte sich durch die Menge und blieb dann vor Alexandra stehen. Es war ein dünner, grauhäutiger Mann mit weichendem Haaransatz und einer schäbigen Soutane. Er starrte sie unglücklich an.
»Gott zum Gruß, Hochwürden«, sagte Alexandra.
»Gott zum Gruß, meine Tochter. Äh … protestanisch oder katholisch?«
»Katholisch«, seufzte Alexandra. »Aber was spielt das heutzutage für eine Rolle?«
»Hier spielt es bald ’ne große Rolle«, grollte der Mann, der ihr das Heu verweigert hatte.
Der Pfarrer des Dorfes ließ die Schultern sinken. »Der Teufel ist los«, murmelte jemand. Ein paar von den Frauen verbargen die Gesichter in den Händen.
»Was soll das heißen?«
Der Pfarrer schluckte. Alexandra hatte selten jemand gesehen, der so voller Panik steckte. Der Adamsapfel des Mannes zuckte im Rhythmus des Blinzelns, das seine Augen erfasst hatte. Es war schwer, sich davon nicht anstecken zu lassen. Alexandra spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte.
»Die Truppen von General Königsmarck …«, sagte der Pfarrer schließlich.
»Königsmarck? Aber der ist doch …«
»Sie sind in Rakonitz. Die Marodeure plündern die ganze Gegend um Prag herum!« Es war eine Frau, und wenn der Pfarrer am Rande der Panik war, dann war sie weit darüber.
»In Rakonitz? Das Heer von Königsmarck liegt doch in Wunsiedel!«
Mehrere Menschen gafften sie an. Alexandra blinzelte. Ihr Herzschlag wurde noch schneller. »Mein Gott«, flüsterte sie.»Ist das die Teufelei, die Samuel erwartet hat? Ein Angriff auf Prag? Wenn er mit seinem Heer Wunsiedel noch im Dezember verlassen hat und bei Nacht marschiert ist … über die gefrorenen Felder … er könnte es geschafft haben, ohne dass es jemand bemerkt hat! Dafür, dass Westböhmen fast menschenleer ist, haben die Soldaten in den Jahren zuvor gesorgt …«
Sie wurde sich der Blicke bewusst, die an ihr hingen.
»Alle sagen, Königsmarck ist der Teufel selbst«, stöhnte der Pfarrer. »Wollen Sie mit uns kommen, Gnädigste?«
»Nein, ich … nein, ich muss schnellstens nach Prag. Noch schneller, im Licht dieser Neuigkeiten!« Sie fasste den Pfarrer ins Auge. »Sie wollen Ihre Gemeinde in Sicherheit bringen?«
»Ja … wenn Gott mir die Kraft dazu gibt!«
Von der Schwangeren
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