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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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auf dem Karren kam ein Keuchen, und der Pfarrer wandte sich um und stürzte zu ihr hinüber. »Wird es denn gehen?«
    »Der Herr wird seine Hand über mich halten«, sagte die Frau. Ihre Augen waren riesig, und ihr Gesicht war trotz der Kälte schweißüberströmt. Sie versuchte aufzustehen. Der Pfarrer half ihr auf und wäre dabei fast mit ihr auf den Karren gefallen. Alexandra hatte den Fuß schon im Steigbügel. Ihr Blick wanderte über die Kruppe des Pferdes hinweg auf den Pfarrer und die Schwangere, und was sie in den Augen der Frau sah, ließ es ihr kalt über den Rücken laufen.
    »Setzen Sie sie wieder hin!«, sagte sie, noch bevor sie nachdenken konnte. Der Ton ihrer Stimme war so, dass alle Köpfe zu ihr herumruckten und der Pfarrer die Frau zurück auf den Karren sinken ließ. »Ziehen Sie sie bloß nicht noch mal in die Höhe!«
    »Aber … aber …« Der Pfarrer gestikulierte. Plötzlich fiel Alexandra der Ring auf, der sich um die beiden gebildet hatte. Kein Mann außer dem Pfarrer kam der Frau zu Hilfe. Wut begann in ihr zu kochen. Ein uneheliches Kind! Und allem Dafürhalten nach war der Schweinehund, der es ihr gemachthatte, hier unter den Gaffern und tat so, als ginge ihn das Ganze nichts an, und sie schwieg, weil sie wusste, dass es ihre Lage nicht verbessern würde, wenn sie mit dem Finger auf den Vater des Kindes zeigte. Dann betrachtete sie das hilflose Geruder des Pfarrers genauer und die Art und Weise, wie alle Umstehenden irgendwo anders hinzublicken versuchten. O mein Gott , dachte sie. Das brauchst du nicht auch noch! Steig auf und reite davon! Wenn du hier nicht zufällig haltgemacht hättest, wüsstest du gar nicht, was vor sich geht. Noch während sie es dachte, zog sie den Fuß wieder aus dem Steigbügel und schob das Pferd beiseite. Neben der Schwangeren ging sie in die Hocke.
    »Seit wann hast du die Wehen?«
    Der Pfarrer gurgelte und blubberte, vollkommen überrascht. »Seit dem Mittagsläuten«, sagte die Frau erschöpft.
    Alexandra nickte. »Ist es dein Erstes?«
    Die Blicke der Frau bohrten sich in die ihren. Sie nickte hektisch. »Werde ich … werde ich … sterben?«
    »Wir reden hier vom Leben, nicht vom Tod«, sagte Alexandra und legte ihr die Hand auf den Bauch. Ihr Lächeln schmerzte bis in ihr Herz hinein, und für einen kurzen Augenblick hasste sie all die Worte, die Barbora zu ihr gesagt hatte. Die Schwangere war zart, ihre Haut fast durchsichtig, die Adern an den Schläfen pochten; sie war nicht mehr jung, aber sie war unterernährt; keine Brüste, keine Hüften … und ihr Bauch war gewaltig. »Denk lieber über einen Namen für das Kind nach.«
    Alexandras Lächeln fand einen langsam aufscheinenden Widerhall auf dem Gesicht der Frau. »Tobit«, flüsterte sie. »Ich weiß, es wird ein Sohn werden.«
    »Ah ja – der Mann, der auf seiner Reise von einem Erzengel beschützt wurde. Wie passend. Nun, Hochwürden …«, Alexandra sah zu dem Pfarrer auf, »… diese Frau geht nirgendwohin. Sie ist … äh …«
    Die Lippen des Pfarrers zuckten. »Meine Schwester«, stieß er hervor. »Ich habe sie im Pfarrhaus aufgenommen. Ihr Mann ist … äh … ist … äh … im Krieg getötet worden.«
    Alexandra hielt seine Blicke unverwandt fest. Er wand sich unter ihnen; sein Gesicht war eine einzige flehentliche Bitte. Es war nicht schwer zu erraten, wie die Lage war: Das Leben in der Gemeinde war einsam und eintönig, und zwei Seelen, die nicht wirklich hierherpassten, fanden zwangsläufig zusammen: hier der vermutlich in einem Jesuitenkolleg oder direkt in Prag ausgebildete Pfarrer zwischen den abgearbeiteten Bauern und Knechten, dort die dünne, kraftlose alte Jungfer, die nicht für die Arbeiten taugte, wie sie die anderen Frauen verrichteten. Die Gemeindemitglieder schauten weg, weil ihre Dumpfheit weder gleichbedeutend mit Bosheit war noch so groß, als dass sie nicht geahnt hätten, wie ein derartiger Skandal dem Dorffrieden schaden konnte. Die verwitwete Schwester, die dem alleinstehenden Pfarrer den Haushalt führte und dafür für sich und ihr Kind Unterschlupf unter seinem Dach fand – wäre alles gut gegangen und der Teufel in Gestalt von General Königsmarck nicht im Lande gewesen, hätten sie es spätestens dann, wenn das Kind seine ersten Schritte auf der Dorfstraße getan hätte, alle selbst geglaubt. Dass es keine zwei Menschen auf der Welt geben konnte, die sich weniger ähnlich sahen als der Pfarrer und die schwangere Frau, hätte man nach Kräften

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