Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
den Quartiermeistern und ihren Gehilfen angefangen bis zu den Familien der Soldaten. Wenn es zu Plünderungen kam, beteiligten sich die Frauen und Kinder der Söldner in der Regel daran. Manchmal führte es dazu, dass ihre Ehemänner und Väter etwas weniger Gewalt anwendeten.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nur Soldaten.«
Ein Expeditionsheer. Es bestätigte das, was Alexandra bereits vermutet hatte. Königsmarck war mit einem Teil seiner Truppen vorangezogen, um den Boden zu bereiten für diegroße Offensive. Der Rest seines Heeres, langsamer als sein General, würde in den nächsten Tagen heranmarschieren, in ein Land, in dem alle Vorräte und alles, was man brauchen konnte, bereits für seine Soldaten requiriert war. Dann würde Prag in eine tödliche Umklammerung genommen werden, und kein noch so tapferer Ausfall der Garnison würde helfen, die beginnende Not hinter den Mauern zu lindern – denn sie würden nichts finden, das sie mit zurücknehmen konnten.
»Die Sterne haben es angekündigt«, sagte der Mann und drückte seine Rollen an sich. »Die Sterne haben versucht, uns zu warnen, aber wir haben nicht auf sie gehört.«
»Die Sterne, von wegen«, sagte Alexandra. »Selbst die Bauern in der Umgebung wussten schon gestern, dass die Soldaten in der Gegend waren.«
»Die Sterne«, wiederholte der Mann. »Die Sterne wissen alles.« Er warf den Kopf zurück und schenkte Alexandra einen herablassenden Blick aus seinem gesunden Auge. »Sie kennen das Geschick der Welt bis zum Jüngsten Tag.« Er räusperte sich und schritt um das Pferd herum. »Einen guten Tag noch, Gnädigste.«
»Warten Sie!«, rief Alexandra ihm hinterher. »Warum zieht ihr alle in diese Richtung? Ist die Fähre über den Fluss nicht mehr in Betrieb?«
Der Mann machte eine ungewisse Handbewegung, ohne sich umzudrehen.
»Frag die Sterne, du Narr«, brummte Alexandra. Sie trieb das Pferd wieder an.
Die Stadttore waren intakt. Jemand vom Rat schien das Gefühl gehabt zu haben, dass eine Verteidigung von vornherein sinnlos war, und hatte vermutlich mit den Soldaten verhandelt. Ein Lösegeld und offene Tore würden die Gegenleistung dafür gewesen sein, dass die Plünderungen möglichst unblutig und ohne Brandschatzung vor sich gingen. Doch dann hatte sich offenbar jemand gewehrt, eine Frau hatteden Schmuck ihrer Mutter nicht hergeben wollen oder ein Vater zu verhindern versucht, dass ein niederer Offizier seine Tochter im Vorbeigehen vergewaltigte … Die Dinge waren eskaliert, und die Berauner Bürger hatten das freiwillige Lösegeld ganz umsonst bezahlt. Kanonen schienen nicht eingesetzt worden zu sein, ihren Donner hätte man bis nach Königshof gehört. Doch der Abend und die Nacht waren, bevor Popelkas Schreie sie durchschnitten hatten, still gewesen. Die Schüsse aus den Musketen und Pistolen, das Brüllen derer, denen Partisanen in die Leiber gerammt wurden, und das Keuchen der anderen, denen Rapierklingen die Herzen durchstießen, würden nicht bis nach Königshof geklungen haben. Die Stadt war klein; sie konnte maximal dreimal so viele Einwohner gehabt haben, wie die Marodeure, die sie überfallen hatten, an Köpfen zählten. Zwölfhundert Menschen, hauptsächlich Frauen, Kinder, Zivilisten und Alte, gegen vierhundert abgebrühte Söldner. Es gab keinen Zweifel, auf wessen Seite alle Vorteile gelegen hatten.
In den Gassen lagen Scherben, zertrümmertes Mobiliar, Kleidungsstücke … da und dort leuchteten gefrorene Blutlachen in dumpfem Rot. Alexandra betrachtete die Verwüstung mit stummem Grimm, bis sie zu der Öffnung in der jenseitigen Stadtmauer kam, hinter der der Fluss und die Fähre darüber lagen. Ihre Augen weiteten sich.
Als die Gewalttaten ausgebrochen waren, schienen mehrere Dutzend Bürger sich in ihrer Panik zur Fähre gewandt zu haben. Die Soldaten hatten sie offenbar verfolgt. Am diesseitigen Ufer lagen die Körper übereinander, Männer, Frauen, Kinder, mit Raureif überzogene, blicklos aufgerissene Augen, in stummen Schreien geöffnete Münder, klaffende Wunden. Die Fähre hing mitten im Wasser an ihrem Tragseil, umgekippt, leise in der sanften Strömung schaukelnd. Man konnte sehen, dass eine der Rollen, durch die das Seil führte, geborsten war. Ob die Soldaten sie zerstört hatten oder ob sieunter dem Gewicht zu vieler Flüchtlinge umgeschlagen war und ihre Fracht in die eisigen Wellen geworfen hatte, ließ sich nicht feststellen. Alexandra starrte sie ratlos an. Dann sah sie, dass am jenseitigen Ufer
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