Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
vorüber und das tote Kind ein merkwürdiges kleines Bündel war, durch dessen Lumpen das Blut zu sickern begann.
Hier hatte es keinen Ehemann gegeben, der rechtzeitig genug angekommen wäre, um ihn zu fragen. Und selbst wenn er da gewesen wäre – Alexandra hatte gewusst, dass František Biliánovás Seele verloren gewesen wäre, hätte er diese Entscheidung treffen müssen.
Am Ende ist der Arzt ganz allein.
Es stimmte immer und zu jeder Zeit.
Sie hatte gewusst, dass Popelka nicht zu retten war. Alles, was sie hatte tun können, war, ihr etwas von den Schmerzen zu nehmen. Als der Griff, mit dem die Sterbende Alexandras Hand festgehalten hatte, sich plötzlich gelockert und ihr Blick ins Ungewisse gefallen war, hatte Alexandra ihre Skalpelle hervorgeholt und das Kind zur Welt gebracht. Es hatte gelebt, und es würde weiterleben. Wenn František Biliánová die Ziegenmilch nicht vergessen hatte, so wie sie es ihm aufgetragen hatte, hatte es eine Chance. Der Pfarrer würde es zu ihrem Versteck in den Höhlen bringen, und irgendeine von den Frauen aus dem Dorf würde sich seiner annehmen. Alexandra hoffte, dass Biliánová nicht auf den Gedanken kam, die Decke zurückzuschlagen, um Popelkas Körper noch einmal zu betrachten. Es hatte keinen Weg gegeben, die Schnitte zu verstecken.
Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dem Pfarrer in die Augen sehen zu müssen und darin zu lesen, dass er sich die Schuld am Tod seiner Geliebten gab. Tatsächlich hätte es nichts am Ausgang der Tragödie geändert, wenn er geblieben wäre, außer, dass er Abschied hätte nehmen können von ihr. Nun würde er nicht einmal viel Zeit haben, Abschied vondem erkalteten Leichnam zu nehmen, wenn er sein Kind in Sicherheit bringen wollte.
Alexandra hatte das Neugeborene und danach die tote Popelka mit dem heißen Wasser aus dem Tauf becken gesäubert und schließlich den Boden und das Bettgestell geschrubbt, bis nirgendwo mehr Blut zu sehen war. Die Laken und Tücher hatte sie draußen zusammengetragen und in das Feuer geworfen, das sie mit den letzten Resten des Karrens vor dem Pfarrhaus angezündet hatte.
Vielleicht würden die Soldaten kommen. Vielleicht würden sie den Pfarrer hier finden und ihm eine Kugel durch den Kopf schießen und das Kind erschlagen. Vielleicht würden sie fernbleiben, und sein Opfergang wäre umsonst gewesen. Welchen Sinn hatte es, dass die einen lebten und die anderen starben? Welchen Sinn hatte es, die Heilkunst erlernt zu haben und sie nur einsetzen zu können, um die Entscheidung zu treffen, wer sterben musste? Welchen Sinn hatte es, einmal Mutterglück gekannt zu haben, wenn man seinem Kind ins Grab hinein nachschauen musste?
Welchen Sinn hatte es gehabt, hierherzukommen?
Das Pferd trug Alexandra in seinem gemächlichen Trab aus dem Dorf hinaus und die Straße in Richtung Nordosten entlang, Beraun zu. Hinter ihr war der einsame Mann in den Feldern ein Stück näher gekommen; er stapfte beharrlich durch Eis und Schneewehen. Er wusste nicht, dass am Ziel seines Weges die Scherben seines Glücks auf ihn warteten und er den Rest seines Lebens vergeblich versuchen würde, sich selbst zu verzeihen, dass er der Liebe seines Lebens nicht hatte helfen können.
27.
Dass die Rauchsäulen über der Stadt nicht von Kaminen stammten, konnte man von Weitem sehen. In Beraun brannten Häuser. Ein schütterer Flüchtlingsstrom zog Karren hinter sich her aus der Stadt heraus oder schleppte Säcke auf den Rücken. Viele von ihnen gingen barhäuptig und in Fetzen gehüllt, manche sogar barfüßig, nur mit Lumpen an den Füßen. Die Soldaten hatten ihnen sogar die Schuhe weggenommen.
Alexandra hielt das Pferd neben einem Mann an, der Schriftrollen in den Armen und auf der Nase eine Brille trug, deren eines Glas zerbrochen war, während das andere fehlte. Sein Haar war zerzaust, das Gesicht verfärbt, ein Auge zugeschwollen unter einem gerissenen Lid, das eine Blutkruste wie ein dickes schwarzes Mal vom Nasen- bis zum Augenwinkel zog. Was immer er vor dem Zugriff der Soldaten hatte verteidigen wollen, ein paar Fäuste hatten ihn eines Besseren belehrt. Vermutlich konnte er sich noch glücklich schätzen, nur verprügelt worden zu sein.
»Wann sind sie gekommen?«, fragte Alexandra.
Der Mann blieb stehen und blinzelte zu ihr hoch.
»Gestern zur Vesper«, sagte er. »Dreihundert, vierhundert, ich weiß nicht … alles Soldaten.«
»Kein Tross?« Jedes Heer führte eine große Anzahl von Nichtkombattanten mit sich, von
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