Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
noch braune Blutränder unter den Nägeln zu sehen waren. Sie drückte sich die Hände ins Kreuz und stolperte langsam um das Bett herum. Eine nach der anderen blies sie die Kerzen aus, die sie in einer Aussparung hinter dem Altar gefunden hatte; Pfarrer Biliánová musste sie vergessen haben, sonst hätte er sie ebenso für die Flucht eingepackt wie alles andere. Pfarrer Biliánová … Alexandra betrachtete das Kind und seine Mutter erneut. Trotz des grauen Lichts sahen beide Gesichterrosig aus. Sie holte Luft, dann schlich sie auf Zehenspitzen hinaus.
Das Pferd schnaubte und stupste sie mit der Schnauze an. Sie zog die Decke von seinem Rücken und wuchtete stattdessen den Sattel hinauf. Ihre Muskeln schmerzten, und als sie sich bückte, um den Riemen unter dem Leib des Tieres festzuschnallen, wurde ihr schwindlig, und sie musste sich an dem großen, warmen, duftenden Leib festhalten. Sie tätschelte dem Pferd den Hals.
»Gleich«, flüsterte sie. »Gleich sind wir weg.«
Mit den Stiefelspitzen scharrte sie in den glimmenden, nach verbranntem Fleisch riechenden Fetzen der Laken. An ein paar Stellen flammte das Feuer wieder auf und fraß sich in die Reste. Der Geruch verursachte ihr Brechreiz.
Das Pferd schüttelte die Mähne und wieherte.
»Pssst!«, machte Alexandra. Sie legte sich den Finger an die Lippen. Das Pferd glotzte sie an.
Als sie sich in den Sattel schwang, war es ihr, als sei sie hundert Jahre alt und jeder Knochen in ihrem Leib mit Blei ausgegossen und mit Glasscherben ummantelt. Sie ächzte, als sie endlich auf dem Rücken des Pferdes saß.
Das Morgenlicht war jetzt hell genug, sodass sie den dunklen Schatten des fernen Höhenzugs sehen konnte und seine steinernen Zähne. Die Felder rollten in sanften Wellen auf den Höhenzug zu, dort, wo sie von einer ungebrochenen Schneedecke verhüllt waren, wirkten sie im hellen Dämmerungsgrau wie riesige Löcher im Gewebe der Welt. Sie glaubte, in einem davon eine dunkle Linie ausmachen zu können, die sich in der Ferne verlor: die Spur der Flüchtlinge. Man konnte nur hoffen, dass die Höhlen tatsächlich schwer zu finden waren – der Spur zu folgen wäre jedenfalls ein Leichtes für die Soldaten, wenn sie das Dorf erreichten. Die einsame Gestalt, die sie vorhin ganz fern erblickt hatte, dort, wo der letzte Wellenrücken der Felderlandschaft mit dem Morgengrauverschmolz, und die der Fährte in Richtung auf das Dorf zu folgte, schien noch nicht wesentlich näher gekommen zu sein. Doch Alexandra wusste, dass sie schließlich eintreffen würde. Ihre Aufgabe hier war beendet.
Sie schnalzte mit der Zunge, und das Pferd fiel langsam in Schritt und trottete zur anderen Seite des Dorfes hinaus, auf den kleinen Fluss zu, dem die Straße gefolgt war, seit sie gestern Horschowitz verlassen hatte. Am Ortsrand drehte sie sich ein letztes Mal um. Die Häuser lagen stumm und still; die dünne Rauchsäule vor dem Pfarrhaus war von Schwarz zu Grau gewechselt und kaum mehr sichtbar; nur der Geruch hing noch in der Luft.
Die Gestalt war in einem der flachen Täler verschwunden. Bald würde sie am Rücken der auf das Tal folgenden Bodenwelle wieder zu sehen sein, näher diesmal.
Sie zog das Pferd herum und ließ es in Trab fallen.
František Biliánová würde seine Geliebte und sein Kind im Pfarrhaus zweifellos finden. Es würde an ihm sein, sich einen Namen auszudenken; Popelka hatte keinen Jungen, sondern ein Mädchen auf die Welt gebracht.
Es war nicht das Köpfchen gewesen, das sie zwischen Popelkas Beinen gesehen hatte, sondern das andere Ende des kleinen Körpers. Sie hatte versucht, das Kind zu drehen; es hatte sich nicht drehen lassen. Alexandra hatte oft genug bei einer Geburt beigestanden, um zu wissen, dass in einem solchen Fall nur eine Seele gerettet werden konnte – die des Kindes oder die der Mutter. In den vergangenen Fällen war es die Entscheidung des Ehemannes gewesen. Sie hatte kein einziges Mal erlebt, dass der Vater sich für das Kind und gegen die Mutter entschieden hatte. Alexandra hatte stets den Raum verlassen, wenn die erfahrenen Hebammen von ihrem Gespräch mit dem Ehemann zurückgekommen waren und die großen, zuvor sorgsam in ihren Beuteln versteckten Scheren herausgezogen hatten. Es war grauenhaft genug zuwissen, was die Frauen tun mussten. Sie hätte es nicht mit ansehen können. Sie hatte ohnehin auf jedem der ungeborenen Körper das Gesicht Mikus gesehen. Sie war erst wieder in die Schlafkammer der Gebärenden gekommen, als alles
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