Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
jemand stand und herüberblickte.
»Die Furt!«, schrie Alexandra zu ihm hinüber. »Wo ist die Furt?«
Der Mann starrte sie reglos an.
»Die Furt!«, brüllte Alexandra. »Ich muss über den Fluss!«
Langsam hob der Mann eine Hand, ohne den Blick von ihr zu nehmen. Sein Mund ging halb auf und blieb offen stehen. Er sagte keinen Ton. Sein Finger deutete auf eine Stelle etwas weiter flussabwärts, außerhalb der Stadtmauern. Alexandra wendete das Pferd. Das Wasser würde mehr als eisig sein, und in dieser Jahreszeit würde es ihr mindestens bis zu den Schenkeln reichen. Es war fraglich, ob sich das Pferd überhaupt auf die Durchquerung einlassen würde, aber sie musste es versuchen. Ihr letzter Blick fiel auf die wild übereinanderliegenden Leichen. Sie schluckte einen Hass hinunter, der so ungeheuer war, dass er sie beinahe erstickte.
Erst als sie längst am anderen Ufer war und vor Kälte in ihrem nassen Rock schlotterte, während sich im Fell des Pferdes Eiszapfen bildeten, wurde ihr klar, dass sie, hätte sie Popelka nicht in der letzten Nacht beigestanden, an diesem Morgen eine der Leichen am Fähranleger gewesen wäre.
28.
Das Erste, was Cyprian tat, als sie zu Hause in Prag angekommen waren, war, durch die Räume seines großen Heims zu stürmen und nachzusehen, ob irgendjemand aus der Familie anwesend war. Andrej folgte ihm langsamer und beruhigtedie Dienstboten, die Cyprians ungestümer Auftritt da und dort aufgeschreckt hatte. Er schien bereits akzeptiert zu haben, was Cyprian nur widerwillig anerkannte: dass die ganze Angelegenheit kein Albtraum war, sondern Wirklichkeit. Cyprian fühlte sich hilflos, und das machte ihn gereizt, und es war eine gute Taktik, türenknallend durch das Haus zu rennen, um ein Ventil für den ohnmächtigen Zorn zu finden.
Am Ende trafen sie sich im Saal. Dieser war stets so etwas Ähnliches wie die Zentrale sowohl für die Firma als auch für die Familie gewesen. Wer Rat suchte, verkroch sich nicht in einem der vielen Zimmer, sondern begab sich in den Saal, entzündete das Feuer im Kamin, dachte über sein Problem nach und vertraute im Übrigen darauf, dass bald irgendjemand kommen würde, mit dem man seine Last teilen konnte. Es war schon vorgekommen, dass Adam Augustýn oder einer seiner Söhne, die allesamt ihren Wohnsitz auf der Kleinseite behalten hatten, zuerst den Saal angesteuert und sich dort niedergesetzt hatten, anstatt auf die Suche nach einem der Partner zu gehen. Einmal hatte Cyprian ihren Brünner Partner Vilém Vlach abends schnarchend vor dem brennenden Kamin gefunden, die nassen Stiefel zum Feuer hin ausgestreckt und das Leder schon gefährlich dampfend. Niemand hätte sagen können, wann Vilém eingetroffen war und ob er nicht vielleicht schon den ganzen Tag da gewesen und über dem vergeblichen Warten, dass jemand ihn im Saal finden möge, eingenickt war. Es war einer jener seltenen Tage gewesen, an denen sich tatsächlich niemand in den großen Raum im ersten Stock des Hauses verirrt hatte, und die Wahrheit war, dass auch Cyprian nicht hineingefunden hätte, wenn er nicht den Schnarchgeräuschen gefolgt wäre.
Andrej lächelte verkniffen. Cyprian ließ sich in einen der Stühle fallen, die um den langen Tisch herum standen.
»So ganz ohne die anderen wirkt es hier ganz schön einsam«, sagte er.
»Wir sind schon öfter hier allein gesessen«, erwiderte Andrej.
»Ja, aber da bestand die Möglichkeit, dass die anderen gleich kommen würden.« Cyprian machte ein verdrossenes Gesicht. »Ich habe diesen Raum noch nie so leer erlebt.«
»Ich schon«, sagte Andrej. »Das war in den Wochen, als wir alle glaubten, du seist tot.«
Cyprian erstarrte. »Verdammt«, sagte er leise.
Andrej reckte sich über den Tisch und legte eine kleine Papierrolle vor Cyprian auf den Tisch. Es war die typische Nachricht einer Brieftaube.
»Wo ist das her?«
»Kommt aus Raigern. Einer unserer Schreiber hat sie mir übergeben. Während du durch das Haus getobt bist.«
Cyprian hielt das winzige Schriftstück auf Armeslänge von sich und kniff die Augen zusammen. »Was steht drin?«
»Es ist die Information, auf die wir gewartet haben. Sie traf nach unserer Abreise aus Raigern dort ein. Wenzels Mönche haben sie an uns weitergeleitet.«
Cyprian kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, dass es keine erfreuliche Nachricht war. Wenn Andrej Zuflucht zu Präliminarien nahm, dann überlegte er gewöhnlich noch, wie er den Inhalt der Botschaft so verpacken konnte, dass sie
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