Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
langsamer zu werden. Mit schlitternden Stiefelsohlen rutschte er auf das Portal zu, das direkt ins Innere der Kirche führte, prallte dröhnend gegen die Türflügel, riss sie auf.
Gesichter starrten ihn an, runde Augen, runde Münder. Ein paar Hände hoben sich zur Abwehr, da und dort wurde das Kreuzzeichen geschlagen, aus einer Faust ragten Zeige- und kleiner Finger abgespreizt gegen ihn. Er erkannte den Bruder Torhüter, den Kellermeister, die anderen beamteten Brüder, die einfachen Mönche, dazwischen die Wegelagerer,auf die sie am Anfang ihrer Reise nach Würzburg gestoßen waren (vor ungefähr hunderttausend Jahren, wie es ihm vorkam) und denen sie, nachdem sie Armbrustbolzen in den Boden gefeuert hatten, befohlen hatten, zur Buße nach Raigern zu gehen. Wie es schien, hatten sie Gefallen am Leben als Gäste in einem Benediktinerkloster gefunden. Wenzel stand keuchend vor der Versammlung. Das Kirchenportal fiel mit einem lauten Knall hinter ihm zu. Mönche und Ex-Banditen zuckten einheitlich zusammen. Wenzel machte einen Schritt auf sie zu, und sie wichen unisono einen Schritt zurück. Es war so still, dass Wenzel glaubte, das Hämmern seines eigenen Herzens als Echo zwischen den Säulen zu hören. Sein Atem keuchte kleine Dampfwölkchen in die Luft. Er starrte sie an. Sie starrten zurück.
»Alle gute Geister lobe Gott die ’erre!«, piepste schließlich eine Stimme irgendwo aus der Meute. »Mamma mia!«
»Ich frage das nur ein einziges Mal«, sagte Wenzel. »Was-soll-das?«
Der Torhüter stand plötzlich einen Schritt vor den anderen. Man hatte das Gefühl, dass er weniger vorgetreten als vielmehr geschoben worden war. Sein Gesicht war bleich und mit einem Schweißfilm überzogen. Sein Kinn zitterte.
»Äh …!«, sagte er und schluckte.
Wenzel kniff die Augen zusammen und stemmte die Hände in die Hüften. »Habt ihr vielleicht gedacht, ich sei ein Geist? Ihr habt doch bestimmt seit einem Tag gewusst, dass ich komme!«
Der Torhüter nickte wild. Wenzel musterte ihn näher, dann die Mönche. Auf ihren Gesichtern lagen die Schatten einer ausgefallenen Rasur und unter ihren Augen die Ringe einer schlaflosen Nacht.
»Habt ihr seitdem hier gebetet!?«
»Wir … wir haben tatsächlich gedacht, du … du wärst dein eigener Geist …«, stotterte der Torhüter.
»Und wofür habt ihr gebetet? Dass ich mich in Luft auflöse, bevor ich das Kloster erreiche?«
»Äh …«, wiederholte der Torhüter.
»Du ’ättest sein könne eine spirito maligno «, piepste die Stimme aus der Kongregation im Rücken des Torhüters.
»Bist du das, Giuseppe?«
Die Mönche und die bekehrten Wegelagerer teilten sich wie eine Prise Pfeffer in einem Wasserglas, in das man einen fettigen Finger hineinsteckt. Ein junger Novize stand auf einmal allein in ihrer Mitte. Er sah sich in plötzlicher Panik um, dann begegnete er Wenzels Blick und lächelte das Lächeln des Mannes in der Löwengrube, der hofft, die zwanzig hungrigen Bestien, die auf ihn zustürzen, irgendwie überreden zu können, ihn zu verschonen. »Possibilmente no?« , piepste er.
»Giuseppe, wenn ich ein böser Geist wäre, wäre der Erste, den ich holen würde, ein ganz bestimmter Novize aus Rom.«
»Ahi, mamma mia!«
Wenzel breitete die Arme aus und drehte sich einmal um sich selbst. »Ich bin es selbst, du lieber Himmel!«, rief er. »Ich bin dreckig, verschwitzt, hungrig, durstig, und ich habe Schwielen am Hintern vom Reiten, aber ich bin kein Geist! Wie kommt ihr bloß auf so etwas?«
»Es hat geheißen, du seist tot …« Der Torhüter vollbrachte die Heldentat seines Lebens, indem er auf Wenzel zutrat und vor ihm niederkniete. »Verzeih uns Kleingläubigen, ehrwürdiger Vater. Wir waren überzeugt, dass die Nachricht von deinem Tod zuträfe.«
Wenzel zog ihn auf die Beine. Das leise Raunen der Versammlung sagte ihm, dass alle erwartet hatten, seine Hände würden entweder wie die eines Phantoms durch den Torhüter hindurchgleiten oder sie beide würden mit Blitz und Knall und Schwefelgestank zur Hölle fahren. Das Zucken in den Augen des Torhüters bewies, dass auch dieser darauf gefasstgewesen war. Wenzel tätschelte ihm die Wange.
»Gut«, sagte er dann. »Das wäre geklärt. Ich muss …«
»Ehrwürdiger Vater, wo sind die anderen? Stimmt es, dass sie alle …?« Der Torhüter schlug die Augen nieder.
Wenzel räusperte sich. »Nein«, sagte er leise. »Nein. Sie kommen nach – mit einem Wagen, aus Eger. Es hat Verluste gegeben … Es haben
Weitere Kostenlose Bücher