Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
hierher nach Raigern mehrfach übergeben. O Gott, die Aufgabe, die er zu erfüllen hatte …
Er erreichte den Treppenabsatz im Obergeschoss des Klosterbaus und stürmte ohne Zögern weiter. Die Türen der Bibliothek waren geschlossen, aber nicht versperrt. Erneut gerieten seine nassen Stiefelsohlen auf dem Steinboden ins Rutschen, und er donnerte gegen die Türflügel, dass sie in den Angeln ratterten. Er hörte, wie seine Mönche – und unter ihnen die Wegelagerer, sie waren jetzt ein kompakter Haufen, der nur von einem einzigen Gedanken geleitet wurde, nämlich ihren Klostervorsteher einzuholen – die Stufen herauftrabten. Ein Kavallerieangriff konnte nicht anders klingen, ausgenommen, dass inmitten eines solchen niemandausdauernd schrie: »Ehrwürdiger Vater, so warte doch, du musst noch etwas wissen!«
Wenzel riss an dem einen Türflügel. Er war doch versperrt! Verzweifelt drosch Wenzel auf ihn ein und gab ihm Fußtritte. Er hörte sich brüllen: »Aaaaaaah, geh auf, du vermaledeites …!«
Der zweite Türflügel schwang lautlos auf. Wenzel hatte es auf der falschen Seite versucht. Sein Puls hämmerte in seinen Schläfen. Er fiel mehr über die Schwelle, als dass er lief, wirbelte herum …
»Ehrwürdiger Vater, bitte …!«
Sie näherten sich, eine Horde voller keuchender, besorgter Gesichter. Er schlug die Tür zu und schob die Riegel in Position. Aus der Erfahrung früherer Plünderungen gewitzt, hatte irgendeiner von Wenzels Vorgängern Halterungen für einen schweren Holzbalken anbringen lassen, den man als zusätzlichen Riegel vor die Tür legen konnte. Wenzel wuchtete ihn noch hoch, als die Türen dröhnten und wackelten. Auch die Horde war ins Rutschen geraten, vermutlich auf Wenzels feuchten Trittspuren. Der Riegel schien nichts zu wiegen. Wenzel knallte ihn in seine Halterungen. Draußen rüttelten sie an der Tür. Wenzel stolperte zurück. Er hatte das Gefühl, durch einen engen Strohhalm atmen zu müssen. Seine Knie zitterten.
»Ehrwürdiger Vater, lass uns rein!«
Sie durften nicht wissen, was hier versteckt war. Selbst wenn sie ihn für verrückt hielten – er konnte ihnen nicht sagen, worum es ging. Wenzel fuhr herum und rannte in den Bibliothekssaal hinein. Das Licht von den vier Fenstern an der Stirnseite blendete ihn. Die Bibliothek war so hoch wie zwei Stockwerke, eine Galerie lief in halber Höhe herum, und überall reckten sich die Buchregale in die Höhe. Der Boden war aus Holz, das so dunkelglänzend war, dass sich die Fenster in ihm spiegelten wie in einem Tümpel. An einpaar Stellen bedeckten Teppiche den Boden, Gobelins, die an den Wänden keinen Platz gefunden hatten, weil die Wände für die ungleich wertvolleren Buchregale reserviert waren. Wenzel kam schlitternd zum Stehen und bückte sich, um einen der Teppiche wegzuzerren. Er schien tausend Pfund zu wiegen, aber Wenzels Verfassung verlieh ihm die nötigen Kräfte. Unter dem Teppich wurde eine exakt eingepasste Falltür sichtbar. Sie hatte keinen Griff, keinen Ring, nur eine Messingplatte mit einer Vertiefung. Er steckte den Finger hinein und drückte etwas. Eine Art metallenes Kästchen klickte nach oben. Wenzel suchte in seiner Kutte und zog ein goldenes Kreuz an einer Kette hervor. Er fummelte am Verschluss der Kette, dann errang seine Ungeduld die Oberhand, und er riss die Kette ab. Sie brannte eine Schramme in seinen Nacken, doch er achtete nicht darauf. Er knetete das Kreuz mit fliegenden Fingern, bis etwas schnappte und der lange untere Teil sich ablöste. Er war nur eine Hülle, die einen Schlüssel versteckt hatte. Wenzel erinnerte sich flüchtig daran, dass er die Idee dafür von Kardinal Melchior Khlesl erhalten hatte, dann steckte er den Schlüssel in das kleine Schlüsselloch auf der Oberseite des Kästchens und drehte ihn um. Unterhalb der Falltür erwachte ein Mechanismus zum Leben und schob klickernd und klackernd Riegel beiseite.
Die Falltür öffnete sich mit einem Federschnappen gerade so weit, dass er seine Finger unter den Spalt zwängen und sie hochheben konnte. Sie war schwer mit all den Zahnrädern und Scharnieren an ihrer Unterseite. Aus dem rechteckigen, flachen Schacht im Boden gähnte ihn Schwärze an. Es war die Schwärze eines nachtfarbenen, dicken Tuchs. Er fegte es beiseite. Darunter kam eine Truhe zum Vorschein. Er öffnete den Deckel.
»Du brauchst nicht so zu tun, als würdest du nachsehen«, sagte Alexandras Stimme hinter ihm. »Sie ist nicht da.«
Wenzel richtete sich langsam auf.
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