Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Schulter und schleppte Feldflaschen, so viele er tragen konnte. »Komm nicht noch mal auf den Gedanken, einen ehrenwerten Kavalleriewachtmeister mit so einem Lümmel von Dragonerfeldwebel zu verwechseln.«
»Wird nicht wieder geschehen, Wachtmeister!«
Die Kanone dröhnte erneut los. Der Schuss passierte ihre Stellung mit einem unheimlichen Flattern und Pfeifen und schlug irgendwo weit hinten in das Ruinenfeld ein. Steineund Staub wirbelten auf. Ein Schutthaufen rutschte in sich zusammen.
»Nur zu«, sagte Spirger. »Hier kann es ein bisschen Aufräumen gebrauchen.«
Von den Dragonern kamen weiterhin Pfiffe und Gebrüll, zweifellos, damit sie zurückbrüllten und so ihre Stärke preisgaben. Den Dragonern konnte nicht klar sein, wie viele sie waren. Ihr Sturm durch das Lager war von deren eigenen Pferden gedeckt gewesen. Ebba fragte sich, ob sie deshalb zögerten, den Angriff zu beginnen.
Samuel rief: »Vordere Linie – denkt dran: Feuer erst eröffnen, wenn sie so nahe sind, dass uns ihr Mundgeruch erreicht. Zwei Schüsse, dann kommt die zweite Linie!«
Ebba hantierte mit gefühllosen Fingern an ihrer Pistole herum. Ihr wurde bewusst, dass sie kurz davorstand, sich selbst in den Leib zu schießen, wenn sie so weitermachte. Sie zog die Waffe heraus und legte sie neben sich. Dann, nach kurzem Nachdenken, zog sie sie näher zu sich heran. Ihr schien, als wäre die Pistole so etwas wie ein Lebensretter, obwohl sie ihr Leben beenden sollte, wenn es nicht anders ging. Sie sah zu Björn Spirger hinüber, der immer noch durch das Loch spähte und die unfähigen Unteroffiziere auf dem rechten Flügel der Dragoner verfluchte; dann zu Magnus Karlsson, der eben einen Talisman an einer Halskette aus der Jacke hervorzog, ihn küsste und dann wieder einsteckte. Jemand tippte sie auf die Schulter. Es war Alfred.
»Durstig?« Er hielt ihr eine Feldflasche hin.
Ebba war überrascht, wie durstig sie tatsächlich war. Sie setzte die Flasche an und schien nicht mehr aufhören können zu trinken. Das schale, eiskalte Wasser – aufgetauter Schnee, ohne Zweifel mit einem hochprozentigen Dreckanteil – rann ihre Kehle hinunter und schien den Durst eher noch zu vergrößern. Mit tränenden Augen und schmerzenden Zähnen reichte sie die Flasche zurück. Sie hatte das Gefühl, sie hättesie austrinken können und hätte sich immer noch ausgedörrt gefühlt. Alfred lächelte sie an. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass sein kurz geschorenes Haar an den Schläfen mit Grau durchsetzt war und dass ein Netz von Falten um seine Augen lag.
»Das ist vor jeder Schlacht so, Kindchen«, sagte er sanft. »Vorher kann man nicht genug trinken, und nachher kann man nicht genug kotzen.«
»Ich stehe meinen Mann!«, sagte Ebba schwach.
»Natürlich, Kindchen, natürlich. He, Reiter Spirger, du hast schon wieder ›Wachmeister‹ gesagt. Ich lass dich strammstehen, bis deine Käsefüße Wurzeln schlagen!«
»Achtung jetzt!«, rief Samuel. Er war wieder auf den Schutthaufen geklettert, von dem die Fahne mit dem Småländer Wappen und ihre ehemalige Regimentsfahne wehten. Er hatte den Hut abgenommen und auf den Boden gelegt, die Pistolen waren in seinen beiden Fäusten, und sein Rapier steckte mit der Spitze voran zwischen zwei Steinen.
Der Knall der Kanone erreichte Ebbas Ohren erneut. Sie hörte und fühlte den dumpfen Einschlag der Kugel in den Boden und gleich darauf einen weiteren, als sie zum zweiten Mal aufprallte, dann wackelte die Mauer, hinter deren Überresten sie lag, vom Einschlag des Geschosses. Entsetzt presste sie sich gegen die Steinbrocken. Splitter und Dreck regneten herab. Ihr Herz hämmerte so sehr, dass es ihr den Atem abdrückte.
»Der nächste geht wieder höher«, rief Samuel. »Dann dürften sie sich eingeschossen haben. Die sind gar nicht schlecht, die Hunde!«
Es schien Ebba, als sei das Geschrei drüben leiser geworden. Sie hob den Kopf und spähte über ihre Deckung hinweg. Sie sah, dass die Männer in der Mitte der Reihe ihre Degen zogen; der linke und der rechte Flügel wanden sich aus den Gurten ihrer kurzläufigen Karabiner und hängten sie sichanders über die Schulter, sodass sie mit einer Hand feuern konnten. Es war klar, dass der Angriff kurz bevorstand.
»O Gott«, hörte sie sich flüstern. Sie hatte nicht gedacht, dass ihre Panik noch größer werden könnte. »O Gott …«
»Angriffsformation wie bei der Infanterie«, kritisierte Björn Spirger. »Piken in der Mitte, Musketiere links und rechts. Ein
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