Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Spirger hinein, der herumfuhr und feuerte. Ebba spürte warme Nässe im Gesicht und an den Händen; der Dragoner rollte ihr vor die Füße und starrte sie mit weit offenen Augen an, in denenkein Leben mehr war. Überall entlang ihrer Linie krachten Schüsse.
»Feuer halten!«, brüllte Samuel mit sich überschlagender Stimme. »Feuer halten! Wer kann, soll nachladen! Schnell!«
Die Dragoner flohen über die Mauer zurück und rannten ins Feld hinaus. Ebbas Blicke flogen hin und her. Ein halbes Dutzend Angreifer lag innerhalb der Mauer; bis auf einen regte sich keiner mehr, aber dieser eine schleppte sich mit den Händen vorwärts, die Beine nachschleifend. Sein Mund stand offen, und das Gesicht war kalkweiß, und hinter sich zog er eine breite Blutspur her. Niemand beachtete ihn, auch dann nicht, als er sich schließlich auf den Rücken rollte, die Hände um die aufgerissene Bauchdecke krampfte und abgehackt zu stöhnen begann. Sie sah ihre Pistole auf dem Boden liegen und nahm sie hastig an sich.
»Sie ziehen sich zurück!«, schrie jemand.
»Nein«, brüllte Samuel. »Sie schwenken wieder ein! Erste Linie feuerbereit!«
Ebba stöhnte vor Entsetzen, als sie das Manöver sah, das die Dragoner draußen vollführten. Die beiden Angriffslinien waren von der Mauer abgeschwenkt und in zwei weiten Bogen in die Mitte des Feldes zurückgekehrt, wo sie aufeinandertrafen. Ihre Toten und Verwundeten lagen hauptsächlich vor der Mauer, sodass Ebba sie nicht sehen konnte; wenn man die Reiter draußen auf dem Feld betrachtete, die sich neu formierten, wirkte es jedoch, als hätten sie keinerlei Verluste. Die Reihe formte sich erneut, rückte aber nicht vor. Ebba war die Erste, die verstand, weshalb.
»Kanone!«, schrie sie in den Feuerstrahl hinein, den die ferne Kanone ausspuckte. »Kanone …!«
Sie krümmte sich hinter der Mauer zusammen. Die Kugel schlug mit einem gewaltigen Aufspritzen von Schnee und Schlamm direkt vor der Mauer ein, sprang weiter, streifte die Steine, zerplatzte und prasselte als Schrapnell direkt hinterEbba in den Schutthaufen, den Samuel als Kommandohügel benutzt hatte. Sie schrie auf und rollte sich herum. Die blaue Regimentsfahne bestand nur noch aus kleinen Fetzen. Samuels Rapier war verschwunden. Der Hügel war voller rauchender Pockennarben. Dazwischen lagen die Fetzen von Samuels Hut und daneben etwas, bei dessen Anblick sich Ebbas Magen umdrehte und sie hustend das Wasser auswürgte, das ihren einzigen Mageninhalt darstellte. Ihr Blut dröhnte in ihren Ohren, doch ihre Hände nahmen das Zittern des Bodens wahr. Die Dragoner stürmten erneut heran. Ebba hatte nur Augen für die blutige Masse zwischen den Steinen, die die volle Wucht des Schrapnells abbekommen haben musste. Samuels Hutfedern taumelten durch die Luft. Dann stolperte Samuel seitlich um den Schutthaufen herum, aus der Nase blutend und voller Staub, und sie verstand, dass er es doch noch geschafft hatte, sich aus der Schusslinie zu bringen.
»Erste Linie Feuerbefehl abwarten!«, krächzte er. Er taumelte den Schutthaufen hinauf, starrte das an, was von Gerd Brandestein übrig geblieben war, dann bückte er sich, nahm die Muskete an sich, die daneben lag, musterte den zerborstenen Gewehrkolben, packte die Waffe wie einen Knüppel und hob seine zweite Pistole.
»Erste Linie …!«
Die Dragoner galoppierten erneut heran. Nur die wenigsten von ihnen hatten es geschafft, ihre Karabiner nachzuladen. Die ersten Schüsse, die sich lösten, waren harmlos und pfiffen über die Verteidiger hinweg, ohne Schaden anzurichten. Die zweite Salve saß präziser, sie wirbelte Steinsplitter auf und sandte jaulende Querschläger durch die Luft.
»So sieht das schon besser aus!«, hörte sie Björn Spirger schreien. »Jetzt gefällt mir das! Rechte Flanke ausgerichtet! Endlich sieht das aus wie Kavallerie …«
Plötzlich taumelte er zurück, die Muskete erhoben. Er starrte Ebba an, dann an sich hinunter, und sie sah das großegezackte Loch mitten in seiner Brust. Sein hässliches Gesicht erstarrte in einer Grimasse der Überraschung. Seine Arme streckten sich aus, als wolle er seine Waffe Ebba anbieten. Er fiel nach vorn. Ebba begann zu schreien.
»Erste Linie …!«
Die Dragoner schienen direkt vor der Mauer zu sein, ein heranrasender Wall aus Leibern. Ein warmer Luftstoß eilte ihnen voraus, der nach Schweiß und Pulver und Pferdescheiße roch …
Jemand schlitterte neben Ebba in Deckung, riss dem toten Björn Spirger die Muskete aus den
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