Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
bereits einmal verloren geglaubt, und er ist wiedergekommen. Er wird auch jetzt wiederkommen. Er kann nicht sterben!
»Alexandra«, sagte Cyprian. »Hör auf. Ich möchte, dass … du mir zuhörst. Ihr alle … ich … ich habe viele Fehler gemacht in meinem Leben, und ich habe gute Dinge getan … es ist alles nichtig … es zählt alles nichts gegen die Tatsache … die Tatsache, dass es euch gibt … wenn ich nichts anderes in meinem Leben vollbracht hätte als das …«
Andrej senkte den Kopf. Er wusste, er wäre seit über sechzig Jahren tot, wenn Cyprian und sein Onkel nicht Kaiser Rudolf samt seinem Leibarzt nach Braunau geschafft hätten, wo Doktor Guarinoni verhindert hatte, dass Andrej an dem Armbrustbolzen starb, den er für Agnes aufgefangen hatte.
Alexandra begann erneut zu schluchzen. Sie erinnerte sich daran, wie ihr Vater sich einem um zwanzig Jahre jüngeren Mann in einem ungerechten Kampf gestellt hatte, um ihr Leben zu retten.
Wenzel starrte auf Cyprian hinunter. Andrej hatte ihn als todkranken Säugling aus dem Findelhaus geholt, aber ohne Cyprian wäre er wieder dorthin zurückgekehrt, erneut zur Waise geworden, und seine zarten Kinderknochen würden jetzt mit Hunderten anderen in einer kalkgefüllten Grube am Ufer der Moldau liegen.
»Das hab ich gut hingekriegt, finde ich«, sagte Cyprian.»Darauf … bin ich … stolz … Wenzel … ich weiß, du hast dich immer als Fremder gefühlt … du musst wissen, dass sonst niemand das gefühlt hat. Es gehört zu dir und macht dich zu dem, was du bist … aber sei versichert … für mich warst du immer, als wärst du mein eigen Fleisch und Blut …«
Wenzel presste die Lippen zusammen, aber er konnte den Tränenfluss nicht aufhalten. »Ich weiß es doch, Cyprian«, wisperte er heiser. »Da, wo es drauf ankommt …«, er deutete auf sein Herz, »wusste ich es immer.«
»Agnes«, sagte Cyprian, und dann sagte er eine Weile gar nichts mehr, weil er nach Atem ringen musste. Nun sickerte ein dünner Blutfaden aus seinem Mundwinkel. Agnes, Andrej und Wenzel versuchten gleichzeitig, ihn wegzuwischen. Ihre Hände stießen zusammen. Andrej krümmte sich zusammen und begann zu schluchzen.
»Agnes …«, wiederholte Cyprian. Sein Brustkorb hob und senkte sich krampfhaft. »Weißt du noch … Virginia …? Wir sind … wir sind nie … dorthingekommen in unser … unser gelobtes Land. Jetzt gehe ich vor dir in ein anderes Land … das Land jenseits … der Grenze. Ich warte dort … warte dort … auf dich. Agnes, meine Liebste … nur deinet… deinetwegen … habe ich gelebt.«
Er lächelte und blickte Agnes an. Wenzel konnte nichts mehr sehen. Er wischte sich die Tränen aus den Augen. Cyprian lächelte noch immer, aber er blickte niemanden mehr an. Wenzel sank in den Schnee. Er wartete darauf, dass Cyprian noch einmal sprechen würde, und wusste zugleich, dass er seine Stimme nie mehr hören würde.
Alexandra kam mit einem wilden Schrei auf die Beine. Sie stolperte und fiel der Länge nach in den Schnee, zerrte die Muskete an sich und kroch, immer noch schreiend wie eine Wahnsinnige, auf die stöhnende Gestalt von Pater Silvicola zu. Die Muskete schleppte sie hinter sich her. Dann knicktesie ein, als hätten ihre Arme keine Kraft mehr, sie auf allen vieren zu halten. Sie zog und zerrte, und dann war die Muskete in ihren Händen und auf Pater Silvicola gerichtet. Die Mündung war keine zwei Ellen weit von seinem Kopf entfernt. Alexandras Finger krümmte sich um den Abzug. Sie hörte auf zu schreien. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Pater Silvicolas Lider flatterten, dann klärte sich sein Blick halbwegs, und er starrte in die Mündung.
»Väterchen?«, sagte er mit einer Stimme, die sich wie die eines kleinen Jungen anhörte. »Väterchen, steh aus dem Schnee auf, es ist so kalt …« Sein Blick klärte sich vollends, und er verstummte. Seine Brauen zogen sich zusammen. Seine linke Hand zuckte, als würde sie sich um etwas krampfen. Trotz der drohenden Mündung fuhr er mit der Hand in die Tasche seiner Soutane und schien erleichtert, als er die Fläschchen fand.
»Ich … bring … dich … um …«, stöhnte Alexandra. Ihr Finger zitterte am Abzug. Pater Silvicolas Blicke ließen die Mündung der Muskete los und schauten ihr in die Augen. »Ich … töte … dich …!«
»Nein!« , sagte Agnes laut und klar.
Alexandra fuhr zusammen. Ihre Augen begannen zu zucken.
»Leg die Waffe weg, Alexandra!« , donnerte Agnes.
»O Gott, Mama …«
»LEG
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