Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Ich bin ein glücklicher Mann.«
Wenzel stand auf. Er sah auf Cyprian hinab, auf Agnes, die schluchzte, auf Alexandra, die stöhnend versuchte, das aus Cyprians grässlicher Wunde pumpende Blut zu stillen, auf seinen Vater, der weinte und Cyprians andere Hand hielt. Plötzlich fühlte er so stark wie nie zuvor, dass er ein Fremder war. Wenzel, der Findling, würde immer Wenzel, der Findling, bleiben. Wenzel liebte Andrej, der ihm ein Leben langder Vater gewesen war, und er verehrte Cyprian mit einer Intensität, die der Liebe zu Andrej beinahe gleichkam, aber jetzt … jetzt war er …
Er trat schnell zurück, bevor ihn seine Gefühle überwältigten. Er erkannte, dass er immer noch die Muskete in der Hand hatte, mit der Alexandra die Soldaten in Schach gehalten hatte. Seine Blicke begegneten denen der jungen Frau. Ihre Augen zuckten.
»Meine Mönche …«, sagte er, »meine Mönche … haben versucht, Ihre Freunde zu retten. Der Kampf ist vorüber. Das Regiment, das vor Podlaschitz aufgezogen ist, ist ein kaiserliches. Sie haben Königsmarcks Dragoner entwaffnet. Der Pater Generalis ist persönlich aus Rom gekommen, um diese Geschichte zu beenden. Die Soldaten hat ihm der päpstliche Nuntius, Monsignore Chigi, zur Verfügung gestellt. Sie stammen aus einem Eliteregiment, das die Friedensverhandlungen in Münster beschützt. Wir sind auf sie gestoßen und haben sie hergeführt.«
»Ihre Mönche …?«, stammelte sie. »Die schwarzen … Schatten …? Ich verstehe … gar nichts …«
»Gehen Sie hinaus zu Ihren Freunden«, sagte er. »Der Kampf ist vorbei.« Er reichte ihr die Muskete. »Nehmen Sie sie.« Er sagte nicht, dass er sich plötzlich beschmutzt fühlte von der Waffe in seiner Hand. Zu seiner Überraschung nahm sie sie nicht entgegen. Er legte sie in den Schnee.
»Was hör ich da von vorbei?«, fragte der Soldat, der die Gefangenen bewachte. »Ist das wahr?«
Wenzel nickte. Er fühlte die ruhige Musterung des Mannes.
»Hör mal, mein Freund«, sagte der Soldat. »Ich treibe mich schon eine Weile in diesem riesigen Irrenhaus rum. Es gibt eine Geschichte von Schwarzen Mönchen, denen man besser nicht in die Hände fallen sollte, und von einem Elften Gebot …«
Wenzel nickte. »Das habe ich auch gehört.«
Der Mann musterte ihn erneut von Kopf bis Fuß. Er hob fragend die Augenbrauen.
»Alles gelogen«, sagte Wenzel.
Der Mann nickte. Er klemmte die Muskete aus seiner Rechten in die Armbeuge der Linken und hielt ihm die Hand hin. »Ich bin Alfred.« Dann wandte er sich an die Gefangenen. »Raus mit euch. Draußen Aufstellung nehmen. Sieht so aus, als hättet ihr Glück gehabt, ihr Schweinehunde.« Sein Blick fiel auf die junge Frau in der Männerkleidung. »Komm, Euer Gnaden«, sagte er. »Gehen wir dahin, wo wir hingehören.«
Als Alfred an Cyprian und den anderen vorbeikam, blieb er stehen. Alexandra wandte sich tränenüberströmt zu ihm um. Cyprian richtete einen flatternden Blick auf Alfred; mit einem jähen Aufwallen von Schmerz erkannte Wenzel, dass es so wirkte, als sei Cyprian bereits in den Schnee gesunken, als hole sich die Erde, was ihr nun endgültig gehörte. Alfred salutierte. Cyprian lächelte schwach.
»Sag … deinem Hauptmann … dass ich ihn gern früher … gekannt hätte«, wisperte Cyprian.
»Rittmeister«, erwiderte Alfred leise. »Hauptmann heißt es nur bei den verdammten Fußtruppen.« Er salutierte erneut, nahm die junge Frau am Arm und führte sie hinaus.
Wenzel wandte sich um, als er Pater Silvicola stöhnen hörte. Er kauerte sich neben ihm nieder, nahm die Pistole und schleuderte sie beiseite, ohne ihr nachzusehen. Dann nahm er die beiden Fläschchen und sah sie nachdenklich an. Schließlich packte er den Mann am Kragen, schleifte ihn zur Mauer des eingestürzten Klosterbaus und lehnte ihn dagegen. Pater Silvicola stöhnte erneut. Sein Gesicht war geschwollen, aus der Nase und dem Mund tröpfelte Blut. Seine Augenlider flatterten. Wenzel fühlte den überwältigenden Impuls, den Stiefel zu heben und ihn zu Tode zu treten, und gleich darauf,wie sich sein Magen umdrehte, weil er schon den Fuß gehoben hatte.
»Wenzel!«, sagte Andrej. Wenzel drehte sich zu ihm um.
»Wenzel …«, hörte er Cyprian flüstern. »Was treibst du dich … da hinten rum …? Du gehörst … hierher.«
Es war der eine Satz, der Wenzels Fassung vollkommen zerstörte. Plötzlich schossen die Tränen in seine Augen, und eine Stimme in ihm heulte auf: Er kann nicht sterben! Wir haben ihn
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