Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Gesichtsausdruck.
Wenzel nahm all dies auf, als er in den Innenhof mit dem alten Friedhof platzte. Er sah seinen Vater, der wie erstarrt schien, er sah Alexandra, die mit einer Muskete auf eine Handvoll Soldaten zielte, aber den Kopf herumgedreht hatte und voller Entsetzen zu Cyprian und Pater Silvicola starrte. Er sah Agnes, die schwankend im Schnee stand. Er sah den Jesuiten die Pistole heben, das Gesicht verzerrt zu einer Fratze, auf Agnes zielen, den Hahn spannen und abdrücken.
KLICK!
Der Jesuit begann zu heulen wie ein Wolf.
KLICK!
Wenzel rannte in ihn hinein, den Karabiner vorgestreckt. Der Kolben traf Pater Silvicola ins Gesicht. Er fühlte, wie etwas unter dem Aufprall brach. Der Jesuit flog nach hinten wie eine Stoffpuppe und blieb liegen. Aus einer Hand fiel ihm die Pistole, aus der anderen zwei kleine Fläschchen, die er in der Faust gehalten haben musste wie einen Talisman. Die Soldaten wichen vor Wenzel an die Wand zurück und hoben die Hände über den Kopf. Der Erste von ihnen sank auf die Knie. »Quartier!«, flüsterte er panisch. »Quartier!«
Alexandra ließ die Muskete fallen und stürzte zu Cyprian, der sich mit einer Hand abstützte. Agnes war auf alle viere gefallenund kroch zu ihm hin. Andrej war immer noch wie erstarrt. Wenzel klaubte die Muskete auf und zielte mit beiden Waffen auf die Soldaten. Einer nach dem anderen knieten sie sich in den Schnee und hoben die Arme über die Köpfe. Pater Silvicola lag stöhnend auf einem der alten Gräber, halb besinnungslos. Mit einem Entsetzen, das seine Beine beinahe in Wasser verwandelte, sah Wenzel, wie sich der Vorderteil von Cyprians Hemd rötete.
»O Gott, Papa«, schluchzte Alexandra und hob das nasse Hemd hoch. Sie schrie auf.
Eine junge Frau in zerfetzter Männerkleidung und ein Soldat stürzten herein. Sie stutzten. Wenzel schwenkte eine seiner Waffen herum und richtete sie auf sie. Er wusste nicht, ob er würde abdrücken können. Die Gewehre schienen auf einmal Tonnen zu wiegen. Die junge Frau machte Anstalten, auf ihn zu zielen, dann sank ihre Muskete nach unten, und ihr Gesicht wurde bleich angesichts des auf dem Boden sitzenden Cyprian. Der Soldat in ihrer Begleitung pflückte die Muskete aus ihren Händen, machte sich ein Bild von der Lage und stapfte dann zu Wenzel hinüber. Der Lauf seiner Muskete war auf die auf dem Boden knienden Soldaten gerichtet. Er nickte Wenzel zu und streckte eine Hand aus. Wenzel drückte ihm wie in Trance seinen Karabiner hinein. Irgendeine Art der Verständigung fand zwischen ihnen statt, als sie sich in die Augen blickten, deren Inhalt Wenzel nicht klar wurde, aber er drehte sich um und überließ die Gefangenen dem Soldaten und schleppte sich zu der Stelle, an der Cyprian lag.
Cyprian hatte sich im Schnee ausgestreckt. Alexandra hatte sein Hemd aufgerissen und versuchte mit flatternden Händen die Blutung zu stillen. Cyprian war so bleich, wie Wenzel ihn nie gesehen hatte. Seine Lippen hatte keine Farbe mehr, und seine Haut hatte die gleiche Weiße wie sein Haar. Er zitterte. Wenzel riss sich den schwarzen Mantel von denSchultern und versuchte, ihn unter Cyprians Körper zu stopfen. Als er die Hände zurückzog, trieften sie von Blut. Der Schnee begann sich rot zu färben. Cyprian lag inmitten einer sich weitenden Blüte seines eigenen Blutes.
»Papa!«, schrie Alexandra.
Cyprian umklammerte eine von Agnes’ Händen. Sie sahen sich an. Agnes’ Züge leuchteten voller Liebe, obwohl Tränen ihre Wangen hinunterliefen.
»He«, flüsterte Cyprian. »Gönnt es mir. Bis jetzt haben sich immer andere vor die Waffen geworfen, die auf meine Lieben abgefeuert wurden … du, Andrej … und du, Wenzel … Ich war auch mal an der Reihe …«
Wenzel spürte, wie sein Vater neben ihm auf die Knie sank und sich mit einer zitternden Hand an seiner Schulter festhielt.
»Da … seid ihr … alle«, flüsterte Cyprian. Er versuchte sie anzulächeln. Wenzel sah, dass Blut in seinem Mund war. Cyprian schluckte es hinunter. Er kämpfte um Atem.
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, hörte Wenzel den Soldaten sagen, der mit der jungen Frau hereingekommen war. Diese stand immer noch da und betrachtete die Szene auf dem Boden voller Entsetzen. »Wir können uns nicht um Gefangene kümmern. Entweder ihr schwört mir auf der Stelle Treue und helft uns, die Kirche zu verteidigen, oder ich töte euch.«
»Agnes …«, sagte Cyprian. »Agnes … endlich habe ich tun können, wozu ich auf der Welt war. Hör auf zu weinen.
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