Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Dazwischen war undeutlich die Stimme der Frau zu vernehmen. »Komm schon! Komm schon! Is’ das alles, was du mir gibst? Komm schon!«
»Wir werden weniger streng bewacht, als es aussieht. Tagsüber kommen wir ein bisschen rum.« Sie sah ihn in der Dunkelheit freudlos grinsen.
Das Tuch vor der Fensteröffnung wurde beiseitegezogen, und das Gesicht der Frau erschien wieder. Es hatte hektische rote Flecken auf den Wangen. Sie stützte sich mit den Händen an der Fensterbrüstung ab, und ihr Oberkörper ruckte vor und zurück im Takt der Stöße, die ihr von hinten verabreicht wurden. Ihre Augen waren groß und glänzend und auf Samuel gerichtet. Etwas fiel plötzlich aus dem Fenster, und Samuel streckte blitzschnell die Hand aus und fing es auf. Die Frau verschwand wieder aus der Fensteröffnung. Das Gerangel ging unvermindert weiter. Samuel öffnete die Faust. Ein alter, klobiger Schlüssel lag darin.
»Verschwinden wir«, sagte er.
»Warum tut sie das?«, fragte Alexandra, als sie zurück zum Versteck der anderen schlichen.
»Was? Sich mit dem Feind zusammentun?«
»Nein – dir helfen.«
»Keiner von meinen Männern oder ich haben ihr etwas Böses getan.«
»Und ihr seid Gefangene.«
»Die Verdammten dieser Erde helfen sich gegenseitig, wie? Wie lange bist du schon auf der Welt, mein Engel?«
Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Du hilfst uns.«
»Ich tue es nicht umsonst.«
»Weil du glaubst, dass du und deine Leute zusammen mit uns eine Chance haben, irgendwo Asyl zu erhalten.«
Er grinste. »Weil ich glaube, dass ich von dir aus lauter Dankbarkeit noch einen Kuss bekomme.«
Als sie das Versteck erreichten, zeigte Samuel den Schlüssel seinem ehemaligen Wachtmeister. Alfred nahm ihn und betrachtete ihn wie ein Verdurstender, dem jemand plötzlich den Schlüssel zum Weinkeller in die Hand gedrückt hatte.
»Du är det bäst, kapten« , murmelte er.
»Beeilen wir uns«, sagte Samuel. »Nach dem Gebumse wird er eine Weile schlafen, aber irgendwann wacht er auf und sieht hier nach dem Rechten. Bis dahin muss der Schlüssel wieder zurück sein. Er ist ein armes Schwein, aber kein dummes.«
»Rittmeister«, sagte Agnes, »ich habe das Gefühl, für einen Schweden sind Sie ein ganz brauchbarer Kerl.«
»Ich bin kein Offizier mehr«, sagte Samuel.
»Offizier zu sein hat nichts mit dem Rang zu tun, sondern damit, das Herz auf dem rechten Fleck zu haben.«
Eine kleine Stille entstand, in die Agnes gelassen hineinlächelte. Alfred Alfredsson, der ganz offensichtlich mehr Deutsch verstand, als er erkennen ließ, grinste schief. Samuel gab Agnes’ Blick zurück.
»Sind Sie verheiratet?«, fragte er dann. »Wenn nicht, mache ich Ihnen auf der Stelle einen Antrag.«
»Ach, mein Junge«, sagte Agnes, und ihr Lächeln wurde breiter. »Ich bin schon vor langer Zeit auf so einen Kerl wie dich hereingefallen.«
»Er ist zu beneiden.«
»Gehen wir jetzt?«, fragte Alexandra und erkannte zu ihrem eigenen Erstaunen, dass ihre Stimme eifersüchtig klang. »Oder sollen wir euch beide allein lassen?«
Samuel wandte sich ihr zu. »Es gibt nichts umsonst, erinnerst du dich?«, fragte er, dann zog er sie zu sich heran und küsste sie. Als er wieder von ihr abließ, verneigte er sich vor Agnes. »Verzeihen Sie, Madame.«
Agnes verdrehte die Augen. Alfred Alfredsson huschte über die Gasse und verschmolz mit den Schatten am Fuß der Mauer. Nach ein paar Augenblicken trat er wieder daraus hervor und winkte ihnen zu. Sie hasteten zu dem nun halb geöffneten Türchen. Alfred drehte den Daumen nach oben und nickte hinaus ins Freie. Agnes, der Schreiber und der Bauer schlüpften hindurch. Alexandra machte den Abschluss und blieb an der Mauer stehen.
»Worauf wartest du?«, fragte Samuel.
»Auf dich und deine Männer!« Dann sah sie ihm in die Augen und erkannte, was ihr schon zuvor hätte klar sein müssen. »Ihr kommt nicht mit.«
Samuel schüttelte den Kopf.
»Was erwartet euch denn hier – außer dem Tod?«
»In Frankreich, habe ich gehört, dauert die Hinrichtung eines überführten Königsmörders mehrere Stunden. In Schweden dauert sie sechzehn Jahre, und sie wird Stück für Stück vollführt, mit Himmelfahrtskommandos und tödlichen Missionen, für die niemand ein Wort des Dankes sagt. Aber der Tag wird kommen, an dem wir unsere Schuld abgetragen haben. Wenn wir hierbleiben und unsere Aufträge erfüllen, können wir unsere Ehre eines Tages wiederherstellen. Wenn wir flüchten, bleiben wir auf ewig
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