Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Verfemte.«
Alexandra musterte Samuel, als sähe sie ihn zum ersten Mal. »Auch ein Gespenst klammert sich an die Hoffnung, nicht wahr?«, sagte sie rau.
»Jeder klammert sich daran«, sagte Samuel, dann war erverschwunden, und das Türchen schwang leise zu. Alfred Alfredssons Handkuss hing noch in der Luft.
Alexandra straffte sich. Sie wurde sich der Blicke ihrer Mutter bewusst und wich ihnen aus. »Wir haben einen langen Weg«, sagte sie und stapfte in das weite Feld hinein, in dem die stumpf glänzenden, gefrorenen Spiegel der Fischteiche lagen. »Bringen wir ein paar Meilen zwischen uns und diesen Friedhof von einer Stadt.«
17.
Pfarrer Christian Herburg war der Seelsorger des Örtchens Falkenau, zwei, drei Meilen nördlich von Eger. Die Nähe zu einer großen Stadt (nach Eger war es ein Fußmarsch von knapp einem Tag) machte das Leben schwer für den geistlichen Hirten eines Dorfes. Die Klugen und die Arbeitswilligen verschwanden so schnell wie möglich hinter die Stadtmauern, um die Freiheit, ihr Glück oder auch bloß eine andere Arbeit zu finden als die, sich vom Frühjahr bis in den Winter auf den Feldern abzuplacken und im Winter dann zu frieren und zu hungern. Die Einnahme Egers durch den schwedischen General Wrangel im vergangenen Sommer hatte diese Situation noch verschärft. Die Bevölkerung der Stadt hatte sich unter der schwedischen Herrschaft und unter dem Eindruck der schwer bewaffneten Garnison, die Wrangel zurückgelassen hatte, darauf besonnen, dass ihr Herz eigentlich schon immer protestantisch geschlagen hatte. Wer konvertierte, fand offene Arme; wer sich als Soldat in schwedischen Diensten einschreiben ließ, ebenfalls. Wer in die Hände spuckte und half, die Spuren der schweren Beschießung zu beseitigen, plackte sich zwar nicht weniger als zuvor auf dem Acker, konnte aber gewiss sein, ausnahmsweise als Held angesehen zu werden. Pfarrer Herburg hätteniemals geahnt, wie viele prospektive Protestanten, Soldaten und Helden sein kleines Dorf bewohnt hatten. Jetzt waren sie alle weg, und zurück blieben die Dummen, die Resignierten und diejenigen, die wussten, dass ihre immanente Bosheit sie in der Stadt zu Ausgestoßenen machte, auf dem Dorf aber zu Respektspersonen, die man fürchtete.
Während er mit den Füßen auf den Boden stampfte und versuchte, so etwas Ähnliches wie Gefühl in seine halb erfrorenen Zehen zurückzubringen, schalt er sich selbst einen Narren. Warum hatte er sich einmischen müssen, als er von der Geschichte erfahren hatte? Er könnte jetzt seine Füße in Richtung des Feuers im Kamin strecken und in der Bibel lesen, anstatt den beiden alten Wirrköpfen zuzusehen, wie sie versuchten, den gefrorenen Boden aufzugraben. Nicht dass er nicht überzeugt gewesen wäre, das Richtige zu tun, aber das Richtige war eben nicht das, was am bequemsten war, schon gar nicht, wenn der Schnee aus dem Himmel fiel, als wolle er die ganze Welt zudecken, und die eigenen Stiefel so leck waren wie ein Sieb.
Letztlich war er immer noch überrascht, wie schnell alles gegangen war – er war nach Eger marschiert, um sich mit dem dortigen Ordensmeister der Kreuzherren mit dem Roten Stern zu beraten – und dieser hatte ihn mit den Worten nach Hause geschickt, dass jemand kommen würde, um sich der Angelegenheit anzunehmen. Schon am nächsten Tag war ein Reiter da gewesen, der sich als Abgesandter des Ordenskomturs ausgewiesen und den alten Heinrich Müller eingehend befragt hatte (nicht zu früh, der alte Heinrich war noch am selben Abend auf seinem Sterbelager entschlummert). Der Reiter war nach Eger zurückgeprescht, und jetzt, kaum vier Wochen später, noch vor dem Christfest, waren die beiden alten Herren in ihrem Wagen aufgetaucht, hatten Pfarrer Herburg gebeten, ihn zu der Stelle im Wald zu führen, die der sterbende Heinrich benannt hatte, und hatten zu graben begonnen.
»Meine Herren«, sagte Christian mit klappernden Zähnen, »es reicht doch, wenn wir die Leichen im Frühjahr auf meinen Kirchhof umbetten. Die armen Seelen liegen hier jetzt seit sechzehn Jahren, da kommt es sicher auf ein paar Monate nicht an.«
Der eine der beiden Männer richtete sich auf und drückte sich die Hände ächzend ins Kreuz. Schließlich legte er die Schaufel auf den Boden und kam zu Christian herüber. Der Pfarrer, der klein und pummelig war, legte den Kopf in den Nacken, um zu ihm aufzusehen. Der Mann war groß und hager; er machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Sind Sie sicher, dass es hier sein
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