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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Leib, aber sie waren auszuhalten. Viel schlimmer war das Bewusstsein der sich abzeichnenden Katastrophe. Er ahnte, dass er es nicht schaffen würde. Siebentausend Tage, siebentausend Nächte … und es war nicht genug. Doch wenn er versagte, dann würde mit ihm die Erkenntnis untergehen, und es würde sich fortführen, was sich schon in jenen siebentausend Tagen abzeichnete, die er hier verbracht hatte. Lebendig eingemauert? Pah … die Vorstellung verlor ihren Schrecken angesichts der Herausforderung, jenseits dieser Zelle, jenseits dieser Mauer in der Welt leben zu müssen, die das Gleichgewicht verloren hatte. Kinder nahmen das Kreuz,um das Heilige Land zu befreien, und die Herren der Kirche ließen sie ziehen, weil sie im Stillen darüber verzweifelten, welche Perversität die Barone, Herzöge und Könige aus den Zügen nach Jerusalem gemacht hatten; die unschuldigen Seelen würden vielleicht vollbringen, was die alten Sünder nicht vermocht hatten.
    Unschuldige Seelen … zehntausend unschuldige Seelen aus dem Deutschen Reich, erloschen im Schnee am Mons Cenisius, fünftausend unschuldige Seelen aus Frankreich, verkauft in die Sklaverei von Händlern ihres eigenen Landes …
    Und, ein paar Jahre davor – hatte Gott die Seinen erkannt, als französische gegen okzitanische Ritter kämpften um des wahren Glaubens willen und die Stadt Béziers brannte, zwanzigtausend Seelen mit ihr, Ketzer und Katholiken gleichermaßen, Männer, Frauen und Kinder, selbst wenn sie in Kirchen Schutz gesucht hatten? Das war es, was geschah, wenn das Licht anfing, zu Feuer zu werden.
    Verglichen damit … war sein Los weniger eine Buße als eine Belohnung. Doch der Stachel der Pein steckte in ihr; er hatte die Gestalt des Versagens.
    Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht, achtete nicht darauf, dass er schwarze Streifen hindurchzog von der Tusche an seinen Fingern, rieb seine Augen, versuchte sie zur Ruhe kommen zu lassen, blinzelte, starrte auf das riesige Pergament auf seinem Pult.
    Absolutes Entsetzen.
    Voller Panik holte er die anderen Blätter hervor. Da … da fing es an. Zittrig werdende Buchstaben, die sich zur Seite neigten, Wischer, Kleckse … Bis die Buchstaben auf dem Blatt ankamen, an dem er gerade arbeitete, waren sie bereits unleserlich. Sein Augenlicht schwand, und die Kraft in seinen Händen auch. Was sollte er tun? Auf diese Weise würde er das Werk nie vollenden … War dies die Strafe für seineSünde (die Flammen, die verschlossene Tür, die gedämpften Hilferufe)? Nil inultum remanebit – blieb nichts ungesühnt? Aber so kleinlich funktionierte es nicht, Gleichgewicht musste in einem viel größeren Maßstab hergestellt werden.
    Seine Finger flogen durch den Stoß aus riesigen Pergamenten. Warum hatte er nicht früher nachgesehen? O Herr, hab Erbarmen, da sah man es überall. Er schrieb das wichtigste Vermächtnis der Welt, und niemand würde es lesen können!
    Was sollte er tun!?
    Gleichgewicht … seine panischen Gedanken klammerten sich an die Vorstellung von Gleichgewicht. Wenn Wissen Licht war, war dann Dummheit der Schatten davon? Wenn Wissen Dunkelheit war, war die reine Unschuld des Toren dann das Licht?
    Gleichgewicht …
    Er sprang von seinem Hocker auf und stolperte zur Tür, schlug mit beiden Fäusten dagegen, schrie und brüllte nach dem Abt. Kaltes Entsetzen fuhr durch ihn hindurch, als er sich bewusst machte, dass er selbst damals sein Ohr gegenüber dem Hämmern an einer verschlossenen Tür verhärtet hatte … er drosch auf die Tür ein, bis seine Hände schmerzten …

    … der Traum wurde für einen Augenblick dünner, ein durchsichtiges Gespinst, und das Hämmern wurde wieder, was es in Wirklichkeit war: das Stakkato von Musketenschüssen, das Trommeln von Pferdehufen. Orientierungslosigkeit und die Ahnung, dass ein Zipfel von Erkenntnis soeben entschlüpft war … der Geruch von Pulver, der schwer und beißend in der Luft hing …
    »Sie überrennen die Schanzen!«

2.
    Der Gesang driftete den Weg von der Ostflanke der Würzburger Stadtmauer herunter wie ein vage erinnerter Geruch von etwas Gutem, das faul geworden ist.
    »Quem pastores laudavere, quibus angeli dixere, absit vobis iam timere, natus est rex gloriae.«
    Agnes blieb abrupt stehen.
    »Man singt den Quempas«, murmelte der Schreiber und zog sich die Mütze vom Kopf. »Da muss eine Christprozession im Gange sein.«
    Agnes wandte sich zu Alexandra um. Ihre Augen glänzten verdächtig. »Den die Hirten lobten, welchen die

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