Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Engel sagten: Fürchtet euch nicht, euch ist der König der Ehren geboren« , sagte sie. »Ich glaube, dies ist das erste Mal, dass dein Vater und ich zum Christfest getrennt sind seit über fünfzig Jahren! Heute Nacht ist Heilige Nacht, Alexandra.«
Alexandra stampfte mit den Füßen auf, um das Blut in Bewegung zu bringen. Sie spürte ihre Zehen kaum noch, und ihre Beine kroch eine Kälte hoch, von der sie wusste, dass sie sie mehrere Tage fiebernd und hustend ins Bett verdammen würde, wenn sie ihr nicht Einhalt gebot. »Schön«, murmelte sie und verbiss sich die Bemerkung, dass das Christfest ihr seit dem Tod Mikus nichts mehr bedeutete; dass die lebensgroßen Krippenfiguren im Dom sie seitdem beklommen gemacht hatten, weil sie in dem geschnitzten Kleinkind in der Wiege stets Miku gesehen hatte und nichts anderes hatte denken können als: Auch du bist nur auf die Welt gekommen, um zu früh zu sterben.
Die Torwachen hielten sich an ihren Hellebarden fest und gaben sich alle Mühe, kampf bereit anstatt wie halb erfrorene Hungerleider zu wirken und dennoch eine christfestliche Freundlichkeit auszustrahlen. Die Freundlichkeit nahm zu, als Agnes ihnen ein paar Münzen in die Hände drückte, undführte dazu, dass man sie in die Stadt ließ, ohne sie der üblichen Schikane einer ereignislos verschwendeten Wartestunde zu unterziehen.
»Wo finden wir das Bürgerspital zum Heiligen Geist?«, fragte Alexandra.
Über das Gesicht des Wachführers huschte das Gespenst eines Lächelns. »Wo kommen wir denn her?«, fragte er.
»Prag«, sagte Alexandra.
»Ich wusste doch, ich kenne den Dialekt.«
»Warst du schon in Prag?«
»Nein, aber Landsleute von euch befinden sich in der Stadt. Ein großzügiger Herr mit seiner Familie.«
»Andreas Khlesl!«
Das Lächeln des Wachführers verschwand und machte einem misstrauischen Gesicht Platz. »Hmmm …!«, brummte er und musterte Alexandra von Neuem.
»Ich weiß, was dieser großzügige Herr zu dir und deinen Männern gesagt hat: Wenn zwei Frauen aus Prag kommen, dann lasst sie schnellstmöglich in die Stadt und zeigt ihnen den Weg zu meinem Logis. Es sind meine Schwester und meine Mutter, und sie wollen zu mir.«
»Fast richtig«, sagte der Wachführer. »Es war allerdings nur von der Mutter und einem halben Regiment von Quacksalbern die Rede … Verzeihung, ich meinte natürlich: Ärzte.«
Alexandra starrte ihn an. Dann sagte sie ruhig, obwohl die Kälte plötzlich aus ihrem Körper verschwunden war: »Wir müssen kurz etwas unter vier Augen besprechen, meine Mutter und ich.«
Agnes begegnete Alexandras Blick gelassen, als sie ein paar Schritte abseitsgetreten waren.
»Wie war das?«, zischte Alexandra. »Andreas ist überzeugt, ich sei die letzte Rettung für Lýdie? Und ich bin auch noch darauf reingefallen! Andreas hat mich schon in Prag nur dann an die Kleine rangelassen, wenn sie zuvor voneinem Arzt untersucht worden war. Herrgott, wie konnte ich nur so blauäugig sein! Mama, von allen miesen Winkelzügen war das der mieseste!«
» Ich bin überzeugt, dass du die Einzige bist, die Lýdie retten kann«, sagte Agnes.
Alexandras Mund öffnete und schloss sich wieder. »Du tust es immer noch. Du manipulierst mich wie eine Puppe.«
»Vielleicht. Und wenn es so wäre – meinst du, ich hätte deswegen ein schlechtes Gewissen? Ich dachte, so bietet sich die Gelegenheit, zwei Seelen zu retten.«
»Zwei Seelen? Lýdie und …«
»Dich, Kindchen.« Alexandra sah das Lächeln auf dem Gesicht ihrer Mutter kurz flackern, als wolle es beinahe in Weinen übergehen. Sie räusperte sich. Ihr Zorn wurde zu Asche und hinterließ einen schlechten Geschmack im Mund.
»Meine Seele war nicht in Gefahr«, erwiderte sie schließlich, um irgendetwas zu sagen, das nicht wie eine Zustimmung klang.
»Dieser schwedische Offizier … das war ein anständiger Kerl …«, sagte Agnes wie versonnen.
Der Zorn erwachte erneut in Alexandra. »Was soll das, Mama? Bildest du dir etwas darauf ein, dass diese von dir ach so geschickt eingefädelte Reise dazu geführt hat, dass ich mit einem mir völlig unbekannten Mann, vor dem seine Kameraden ausspucken, in einem halb zerstörten Haus Liebe gemacht habe? Oder schockiert dich das Geständnis? Nein, tut es nicht, du hast es ohnehin die ganze Zeit über gewusst. Weshalb auf einmal so großzügig? Ich dachte immer, dir und Papa wäre es am liebsten gewesen, wenn aus Wenzel und mir ein Paar geworden wäre.«
»Ich bilde mir gar nichts ein«, sagte
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