Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
hast«, meinte Andrej.
»Was habe ich denn da gesagt?«
»›Ich bin zu alt für diesen Scheiß.‹ Oder so ähnlich.«
Cyprian grinste freudlos. »Und was hilft uns das, mein Alter? Was mich betrifft, ich mische mich lieber selber noch mal ein, als Alexandra und Andreas und Melchior und Wenzel den Kampf allein führen zu lassen.«
»Was mich betrifft, so würde ich viel darum geben, nicht noch ein drittes Mal mit diesem verdammten Buch in Berührung zu kommen.«
»Mal ganz abgesehen davon.«
In Cyprians Gesicht arbeitete es. Andrej schien es, als nehme er erstmalig wahr, wie alt sein Schwager und bester Freund tatsächlich geworden war. Und er selbst? Cyprian war sogar noch ein paar Jahre jünger als er. Die Jugend, dieMannesjahre … wo waren sie hingekommen? In seiner Erinnerung waren die Zeiten, in denen sie gemeinsam gegen den Fluch der Teufelsbibel gekämpft hatten, wie Fanale – die Zeiten des Friedens dazwischen waren hingegen blass, kaum unterscheidbar, von Freuden und Schmerz gleichmäßig durchsetzt, Jahre, die ihm im Nachhinein wie verschwendet vorkamen. Nach dem Untergang der Klostergemeinschaft von Braunau waren sie die Wächter der Teufelsbibel geworden, und wie gute Wächter hatten sie abgewartet, bis der Ernstfall eingetreten war.
»Die Jahre dazwischen«, sagte Cyprian, der wie meistens in der Lage war, Andrejs Gedanken zu erraten, »waren das wahre Leben. Die Kämpfe dienten nur dazu, uns und unseren Lieben dieses Leben zu ermöglichen.«
»Es könnte gut sein, dass wir dieses Mal den letzten Kampf führen«, sagte Andrej.
»Dann lass ihn uns gut vorbereitet anfangen.« Cyprian deutete mit dem Daumen in Richtung Osten. »Statten wir dem Propst von Raigern einen Besuch ab, wie wir es ohnehin vorhatten. Bis wir dort ankommen, hat er die Botschaft gelesen, die wir ihm mit der Brieftaube heute Mittag geschickt haben, und sich seine eigenen Gedanken gemacht. Wenn der Fall von Anna Morgin wirklich eine solche Schweinerei war, dann haben seine Mönche etwas darüber aufgezeichnet. In Raigern hört man das Gras wachsen, seit Wenzel dort das Sagen hat; wenn wir Glück haben, finden wir sogar etwas über das Schicksal des Jungen heraus. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Wenzels Spione sein Geschick völlig aus den Augen verloren hätten.«
»Hier geht es mit dem Teufel zu, hast du das schon vergessen?«
Cyprian klopfte Andrej auf die Schulter. »Seit wann lassen wir uns schon im Vorhinein unterkriegen? Wenzel ist ein kluger Kopf, und du und ich, wir brauchen unsere Sinnedoch schon alle miteinander, um am frühen Morgen auf den Abtritt zu finden. Weißt du, manchmal sehe ich deinen Sohn an und warte direkt darauf, dass ihm irgendetwas Komisches widerfährt, so wie es bei dem alten Kardinal Melchior immer üblich war. Wenzel ist unser geistiges Zentrum geworden, und Onkel Melchior braucht sich seines Nachfolgers nicht zu schämen.«
»Manchmal sehe ich Wenzel an«, sagte Andrej, »und warte darauf, dass etwas in seinem Gesicht mich an das Gesicht Yolantas erinnert, weil es mir nicht mehr gelingt, es heraufzubeschwören. Dann erst fällt mir wieder ein, wer er ist, und ich …« Andrej verstummte.
»Ja«, sagte Cyprian. »Du hast damals das Richtige getan, mein Freund. Wir alle haben gelernt, uns auf deinen Sohn zu verlassen.«
2. Buch
Hexenfeuer
Dezember 1647
Omnes vulnerant, ultima necat.
Inschrift auf Sonnenuhren
1.
Da war der Traum wieder …
… durchzogen von den Geräuschen der Kämpfe. Die Angreifer schienen sich zurückgezogen zu haben, um sich neu zu formieren, aber noch immer peitschten vereinzelte Schüsse auf, weil Schützen dachten, einen Feind erreichen zu können, oder weil ein Sterbender mit zerfetzten Eingeweiden irgendwo allein zwischen den Linien den Finger um den Abzug seiner Muskete krümmte und den einen, gnadenreichen Schuss auslöste, der seine Seele, wollte man den Pfarrern glauben, in die ewige Verdammnis stürzte, aber seinen Körper von den unerträglichen Qualen erlöste, in denen er sich gewunden hatte. War dies das Gleichgewicht? Aber nein, dies war so, weil das Gleichgewicht abhandengekommen war – weil alle vergessen hatten, dass Licht einen Schatten werfen muss, weil Licht ohne Schatten nichts anderes ist als ein riesiges Feuer, das alles verbrennt …
… der Traum! Der Traum flackerte in seinem eigenen Gefängnis: drei Wände, eine schwere Tür, ein vergittertes Fenster, durch das eine Bahn Licht fiel. Die Schmerzen wühlten in seinem
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