Die Erbin Der Welt erbin1
fortgehen würdet?«
»Noch mehr würden sterben«, sagte der Lord der Finsternis. »Die, die uns verehren, würden durch unsere Abwesenheit verängstigt. Einige würden beschließen, dass andere die Schuld daran tragen, und diejenigen, die diese neue Ordnung mit offenen Armen aufnehmen, würden alle ablehnen, die die alten Gebräuche beibehalten. Die Kriege würden Jahrhunderte andauern.«
Tief in meinem Inneren spürte ich die Wahrheit, die in seinen Worten lag, und mir wurde schlecht vor Entsetzen. Dann berührte mich etwas leicht — kühle Hände. Er massierte meine Schultern, als ob er mich trösten wollte.
»Aber irgendwann wären die Kämpfe vorbei«, sagte er. »Wenn ein Feuer ausgebrannt ist, wachsen neue Dinge nach.«
Ich spürte keine Lust oder Wut von ihm, wahrscheinlich weil er im Moment beides nicht für mich empfand. Er war nicht wie Itempas — unfähig, Veränderungen zu akzeptieren. Er verbog nicht alles, was um ihn herum war, oder zerbrach es, um es nach seinem Willen zu formen. Nahadoth verbog sich selbst nach dem Willen anderer. Der Gedanke machte mich einen Moment lang traurig.
»Bist du jemals du selbst?«, fragte ich. »Wirklich du selbst, nicht nur so, wie andere dich sehen?«
Die Hände verharrten, dann wurden sie weggezogen. »Enefa hat mich das einmal gefragt.«
»Tut mir leid ...«
»Nein.« In seiner Stimme lag Trauer. Sie verging niemals für ihn. Wie furchtbar musste es sein, ein Gott der Veränderung zu sein und dann unendliche Trauer zu ertragen.
»Wenn ich frei bin«, sagte er, »werde ich mir aussuchen, wer mich formt.«
»Aber ...« Ich stutzte. »Das ist keine Freiheit.«
»Zu Anbeginn der Wirklichkeit war ich ich selbst. Es gab nichts und niemanden, der mich beeinflusste — nur den Mahlstrom, der mich geboren hatte, und dem war es egal. Ich riss mein Fleisch entzwei, und die Grundsubstanz unseres Reiches ergoss sich daraus: Materie, Energie und mein eigenes, kaltes schwarzes Blut. Ich verschlang meinen Geist und schwelgte in der Neuartigkeit des Schmerzes.«
Tränen schössen in meine Augen. Ich schluckte schwer und versuchte, sie zurückzuhalten, aber plötzlich waren die Hände wieder da und hoben mein Kinn. Finger streichelten meine Augen, schlössen sie und wischten die Tränen fort.
»Wenn ich frei bin, werde ich wählen«, flüsterte er noch einmal ganz nah. »Du musst dasselbe tun.«
»Aber ich werde nie ...«
Er küsste mich, um mich zum Schweigen zu bringen. In dem Kuss lag Sehnsucht, greifbar und bittersüß. War das meine eigene Sehnsucht oder seine? Dann verstand ich endlich: Es machte keinen Unterschied.
Aber o Götter, o Göttin, er war so gut. Er schmeckte wie kühler Morgentau. Er machte mich durstig. Kurz bevor ich mehr wollte, zog er sich zurück. Ich kämpfte gegen die Enttäuschung an, aus Angst, was sie uns beiden antun könnte.
»Geh und ruh dich aus, Yeine«, sagte er. »Lass die Intrigen deiner Mutter sich selbst erfüllen. Du hast deine eigenen Prüfungen zu bestehen.«
Dann fand ich mich in meiner Wohnung. Ich saß auf dem Boden in einem Viereck aus Mondlicht. Die Wände waren dunkel, aber ich konnte gut sehen, da der Mond, obwohl nur ein Bruchstück von ihm tief am Himmel stand, sehr hell war. Mitternacht war längst vorbei, es war ungefähr ein oder zwei Stunden vor Sonnenaufgang. Das wurde allmählich zur Gewohnheit.
Si'eh saß in dem großen Sessel neben meinem Bett. Als er mich sah, rollte er sich auseinander und legte sich neben mich auf den Boden. Seine Pupillen waren im Mondlicht groß und rund, wie die einer ängstlichen Katze.
Ich sagte nichts. Kurz darauf streckte er die Hand aus und zog mich hinunter, bis mein Kopf in seinem Schoß lag. Ich schloss die Augen und schöpfte Trost aus dem Gefühl seiner Hand auf meinen Haaren. Nach einer Weile begann er, mir ein Schlaflied zu singen, das ich in einem Traum gehört hatte. Ich war entspannt und schlief wohlig ein.
Selbstsucht
Sag mir, was du willst, hatte der Lord der Finsternis gesagt. Etwas Besseres für die Welt, hatte ich geantwortet. Aber auch ...
Am Morgen ging ich zeitig zum Salon, bevor die Sitzung des Konsortiums begann. Ich hoffte, Ras Onchi zu finden. Vorher sah ich aber Wohi Ubm, die andere Adlige aus Hochnord, die auf der breiten, von Säulen gesäumten Treppe des Salons eintraf.
»Oh«, sagte sie nach einer unbeholfenen Vorstellung und meiner Nachfrage. Sobald ich den mitleidigen Ausdruck in ihren Augen sah, wusste ich es. »Ihr habt es
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