Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
genau diese Unterhaltung geführt hatten.
„Jane“, sagte Titus, „ich bin so enttäuscht von dir.“
Sie war für ihn nichts als eine Enttäuschung gewesen, seit er sich vor zwei Jahren unvermittelt in der Rolle des Vormunds von zwei minderjährigen Mädchen wiedergefunden hatte.
„Das hier war ein ehrlicher Versuch“, erklärte er. „Von einem guten Mann, einem, der bereit war, eine Patientin anzunehmen, die so wenig lohnenswert ist wie Emily.“
„Hast du dich nach seinen Referenzen erkundigt?“, wollte Jane wissen. „Oder mit Patienten gesprochen, die er von ihrem Leiden befreit hat?“
Aber nein, natürlich nicht. Er schaute sie verwirrt an. „Er war ein guter Mann“, wiederholte er.
„Ich hatte nie den Eindruck, es gäbe einen Mangel an Ärzten, die ihre Behandlungsmethoden an meiner Schwester ausprobieren wollen“, begann Jane erneut, biss sich dann wieder auf die Lippen. Es war genug. Sie hatte keinen Grund, ihn weiter gegen sich aufzubringen. Es war am besten, sie hielt den Mund. Er würde den Kopf über sie schütteln und enttäuscht sein. Und dann würde er es vergessen und von der Frage gefesselt sein, welche Weltkarte er kaufen sollte, um sie in seinem Arbeitszimmer an die Wand zu hängen. Monatelang würden sie nichts anderes zu hören bekommen, als welche Entwürfe und welche Kartographen er gerade in Erwägung zog, bevor er sich endlich für das Richtige entschied.
„Bis zu diesem Punkt“, sagte Titus, „habe ich dir deine vielen, vielen Schwächen nachgesehen.“ Er schüttelte betrübt den Kopf. „Du gibst Widerworte und bist stur, ganz wie es zu den peinlichen Umständen deiner Geburt passt. Ich habe immer gehofft, dass meine freundliche Aufmerksamkeit bewirken würden, dass du dein Verhalten änderst.“ Er legte seine gespreizten Finger aneinander und blickte nach oben. „Ich beginne, an dir zu verzweifeln.“
Gegen den Vorwurf zu protestieren, sie gäbe Widerworte, hatte bei ihm irgendwie nie zu einem Umdenken in dieser Sache geführt.
Daher setzte sie eine zerknirschte Miene auf. „Es tut mir leid, Onkel“, sagte sie so kleinlaut wie sie nur konnte. „Ich gebe mir wirklich Mühe.“
Je schneller sie sich entschuldigte, desto eher waren sie mit dieser Unterhaltung fertig. Der Vorteil davon, einen gutgläubigen Onkel zu haben, bestand darin, dass Jane sich gewöhnlich mit Entschuldigungen aus allem herausreden konnte.
Aber er begann nicht seinen gewohnten Vortrag, den sie fast schon auswendig konnte. Er dachte nicht laut über die unmoralischen Neigungen nach, die sie so eindeutig von ihrer Mutter geerbt hatte und vor denen sie auf der Hut sein musste. Stattdessen zog er sorgenvoll die Brauen zusammen.
„Was mich dieses Mal so erschüttert“, erklärte er, „ist, dass es ganz so aussieht, als habest du deine Schwester in einen deiner Streiche hineingezogen.“
Jane schluckte.
„Ich hatte gedacht, dass ich einen positiven Einfluss auf dich ausüben könnte, aber ich fürchte, genau das Gegenteil ist eingetreten. Deine Charakterschwäche scheint auf deine süße kleine Schwester abzufärben. In ihrer Unschuld, vermute ich, bildet sie sich ein, dass du sie gerne hast.“
„Das tue ich doch auch“, wandte Jane ein. „Wenn du an irgendetwas zweifeln musst, bitte sehr, aber nicht daran.“
Er schüttelte nur den Kopf. „Wenn dir an ihr läge“, sagte er, „würdest du sie nicht auf deinen dunklen Weg ziehen.“
„Welchen dunklen Weg?“
„Den Weg der Lügen“, antwortete Titus ernst. „Du hast deiner Schwester das Lügen beigebracht.“
Emily hatte darin keine Lehrerin gebraucht.
„Wenn das so weitergeht“, fuhr Titus fort, „werde ich dich zu meiner Schwester schicken müssen. Lily ist nicht so langmütig wie ich. Sie würde es dir nicht erlauben, zu einer Gesellschaft nach der anderen zu gehen, ohne dich zu entscheiden. Sie teilt mir regelmäßig mit, wie falsch ich mit dir umgehe. Sie hätte dich in kürzester Zeit verheiratet.“
Die Ehe – die Ehe mit irgendeinem Mann – wäre an und für sich schon schlimm genug. Als verheiratete Frau hätte sie keinen Vorwand mehr, im Hause ihres Onkels zu bleiben. Ihr Ehemann würde sie monatelang von Emily trennen. Aber die Ehe mit einem Mann, der ihrer Tante zusagte …
Jane krallte unter dem Tisch die Finger in ihre Röcke. „Nein“, sagte sie. „Bitte, Onkel. Schick mich nicht weg. Du bist nicht falsch mit mir umgegangen. Ich bemühe mich ja.“
Er nahm ihre Entschuldigung nicht an.
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