Die Erbin
betäubt von den Schmerzmitteln. Nur Irena war schon angezogen und begleitete ihren Mann bis zum Fallreep.
Giuseppe sah wie zerstört aus. Ein Greis. Bevor er den ersten Schritt auf das Fallreep setzte, drehte er sich um.
»Du wirst es bereuen«, sagte er leise.
»Vielleicht. Aber ich liebe ihn, Giuseppe. Ich kann nicht dagegen an.«
»Er wird dich ruinieren, Irena. Dich, deinen Körper, deine Stimme. Du bist für ihn nur ein Schmuckstück, das er sich um den Hals hängt. Die große Palvietti! Er wird dich nie heiraten.«
»Er hat es gesagt.«
»In fünf oder sechs oder sieben Jahren wird er das noch immer sagen, aber du wirst nur noch ein Schatten sein! Er ist ein Vampir.«
»Es werden sieben herrliche Jahre sein.«
»Und wenn du nicht mehr singen kannst?«
»Die Oper ist nicht alles, Giuseppe.«
»Bisher war sie dein Leben!«
»Bisher! Ich wußte nicht, daß es noch Schöneres gibt.«
»Und wir?«
»Wir waren glücklich, Giuseppe. Oder besser: Wir glaubten, glücklich zu sein. Du hattest deine Fabriken, ich die Bühne … Aber waren wir Menschen?«
»Ich war immer ein Mensch. Ich lebte nur für dich.«
»Das ist vorbei, Giuseppe. Endgültig! Es gibt kein Zurück mehr!«
Er nickte und schämte sich nicht, daß plötzlich Tränen über seine Wangen rollten. »Wenn du mich brauchst«, sagte er mühsam, »wenn ich dir helfen soll … ich bin immer für dich da, Irena. Ich komme sofort. Ich werde nie aufhören, dich zu lieben. Ich weiß auch nicht, wieso …« Er wischte sich die Augen, wandte sich ab und lief das Fallreep hinunter. Einsam, nach vorne gebeugt, mit schleppendem Schritt, ein uralter Mann, ging er durch den noch schlafenden Jachthafen und verschwand hinter einer Reihe niedriger Gebäude, in der die Servicestationen der großen Bootsmarken ihre Werkstätten installiert hatten.
Irena Palvietti blickte ihm nach. Hochaufgerichtet stand sie an der Reling, der Wind wehte die schwarzen Haare über ihr Gesicht. Wie Medea sah sie aus, wie in einer ihrer Glanzrollen: die Frau, die aus Liebe alles zerstört, vernichtet, tötet.
Vom Hauptstrand Copacabanas klang Musik herüber. Eine Gesangsgruppe in bunten Fantasiekostümen zog durch die Reihen der Sonnenhungrigen und sang brasilianische Volkslieder, alte Indianerweisen, spanische Gesänge mit maurischem Unterklang. Zwei große, langbeinige, schlanke Mulattinnen in tief ausgeschnittenen Blusen gingen singend von Liegestuhl zu Liegestuhl und hielten den Faulenzern einen großen Strohhut hin. Die Gitarrenspieler, hellhäutige Mischlinge, stampften im Takt ihrer Musik den feinen Sand. Sie drehten sich und tanzten überschäumende Lebensfreude für ein Trinkgeld.
Lyda hatte ihren Kopf in Lobows Schoß gebettet und starrte in den wolkenlosen, vom Wasserdunst glasigen Himmel. Sie atmete schwer; er streichelte ihr Gesicht, legte beruhigend die Hand auf ihre Brust und küßte, indem er sich tief über sie beugte, ihre zitternden Augenlider.
»Das habe ich alles nicht gewußt«, sagte er. »Mein armes Täubchen …«
»Es ist vorbei!« Sie dehnte sich unter seinen Zärtlichkeiten und genoß das Spiel seiner Finger. »Fast neun Jahre blieben sie zusammen. Mama ließ sich scheiden, heiratete später aus Trotz einen französischen Industriellen, ließ sich wieder scheiden und heiratete schließlich Pavlos Heraklion, Papas größten Konkurrenten. Es war eine schreckliche Zeit. Ich pendelte hin und her, zwischen New York und London, Paris und Monte Carlo. Hier die fremde Frau, die von allem Besitz ergriff und die Papa wirklich zu lieben schien – dort, wie Haie, die ihr Opfer umkreisen, die fremden Männer um Mama! Wo ich hinkam, war ich im Weg. Keiner sagte es mir, o nein, sie waren alle sehr nett zu mir, sie verwöhnten mich, ich hatte alles, was ein Kind, was ein Mädchen haben wollte, es gab keinen offenen Wunsch. Nur Liebe bekam ich nie! Nur immer Wohlwollen. Kann davon ein Mensch leben? Papa küßte mich, Mama küßte mich. Ich fuhr mit der ›Genia‹, die Papa nach der Scheidung in ›Lyda‹ umtaufte, kreuz und quer durch die Welt, immer mit Irena Palvietti vor Augen, die kaum noch sang, sie war schlank und schön geworden, aber ihre Stimme klang nicht mehr, sie war hart, kalt, in den Höhen brüchig. Ich ging mit Mama in die New Yorker Nachtclubs oder in die Restaurants von Paris und mußte mit ansehen, wie sie verliebt tat, mit gräßlichen Männern engumschlungen tanzte und sich benahm, als sei sie zwanzig. ›Ich habe deinen Vater sehr geliebt‹,
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