Die Erbin
er paßte nur auf den kleinen Finger. Aber dort trage ich ihn jetzt, streife ihn nicht mehr ab. Dieser kleine Brillant ist mir wichtiger als der Schmuck der berühmten New Yorker oder Pariser Juweliere, den mir Papa gekauft hat. Um den Hals können mir Millionen hängen, aber am linken kleinen Finger trage ich Boris' Herz …
»Wie sahen sie aus, deine Geliebten?« fragte sie. »In Rußland gibt es viele schöne Mädchen, habe ich gelesen.«
»Eine Übertreibung. Es ist wie hier, sehr gemischt. In Moskau und später in Leningrad, während meiner Ausbildung, da kannte ich ein paar Mädchen. Nein, nicht ein paar – es waren genau drei.«
»Drei? In welcher Zeit?«
»In sieben Jahren.«
»Das glaubt dir keiner!« – »Aber es war so. Ein Mädchen aus der Kantine, eine Fremdenführerin von Intourist und ein Kapitän.«
»Ein Kapitän?«
»Ja. Sie fuhr eines der langen, flachen Ausflugsboote, mit denen man in Leningrad durch die vielen Newa-Arme und rund um die Inseln fährt. Rußlands Venedig, mein Täubchen. Kanäle, Brücken, Flußarme, Inselchen, Paläste, Gärten, Festungen, Kirchen mit goldenen Kuppeln, Avenuen, aber auch enge Gassen und ganz schmale Durchfahrten. Leningrad ist eine wundervolle Stadt, viel schöner als Moskau.«
»Ich möchte mit dir in Leningrad leben!« sagte sie plötzlich. »In einem Palast an der Newa.«
»Das ist leider unmöglich.«
»Ich setze meinen Willen durch. Gegen alle Widerstände!«
»Das ist es nicht.« Lobow lächelte traurig. »Aber alle Paläste gehören dem Staat. Sie sind Volkseigentum. Man kann nicht nach Rußland kommen und einfach sagen: Mir gefällt der Palast. Er steht leer. Ich will ihn kaufen! Was kostet er? – Man würde uns für verrückt erklären. Um eine kleine Wohnung zu bekommen, muß man sich in eine Warteliste eintragen und dann viel Geduld haben. Es kann ein Jahr dauern oder auch zwei. Keiner weiß das vorher. Wer viel Geld hat – ehrliches Geld, denn das wird überprüft –, kann sich eher eine Datscha kaufen oder bauen, als eine Wohnung in der Stadt bekommen. Alle Bauten sind staatliche Unternehmen und werden zugeteilt. Das ist wahrer Sozialismus: Das Volk ist eine große Familie. Anders bei den Kapitalisten. Ihr freßt euch gegenseitig auf vor Geldgier und Eigennutz!« Er blickte verträumt zum Meer. »Manchmal verwirrt mich das alles«, sagte er leise. »Ich komme mir hier im Ausland wie auf einer kleinen Insel vor, gegen die das Meer anbrüllt. Manchmal habe ich Angst, es überspült mich. Dann habe ich eine unbändige Sehnsucht nach Rußland.«
Sie lagen am Meer, bis es dunkelte und die Lichterketten und Reklamen der riesigen Hotels und Nachtclubs von Copacabana aufflammten und alle Schönheit der Natur ertränkten in ihren bunten, schreienden Neonlichtern.
Hand in Hand gingen sie langsam zu dem Parkplatz, wo sie ihren Mietwagen abgestellt hatten, und fuhren zum ›Palace‹ zurück, der Riesenherberge der Allerreichsten, wo sich niemand darum kümmerte, wie jemand hieß, wenn er nur bezahlte.
In der Nacht tanzten sie wieder in einer auf indianisch aufgeputzten Bar, Wange an Wange, Körper an Körper. Von der Mitternachtsschau mit den sich entblätternden üppigen Girls, meist Mischlingen mit herrlichen, beneidenswert vollkommenen Körpern, sahen sie kaum etwas. Sie hatten nur Augen für sich, tranken mehr, als sie vertragen konnten, und Lobow brachte Lyda schließlich auf ihr Zimmer, zog sie aus, legte sie ins Bett, deckte sie zu und verließ brav den Raum.
Auf dem Flur blieb er stehen, gähnte, reckte sich, als seien ihm alle Muskeln eingeschlafen, und schloß sein eigenes Zimmer auf, das dem von Lyda gegenüber lag. Beim Etagen-Service bestellte er ein Glas Wodka mit Tonic Water, gab dem Kellner ein kleines Trinkgeld (nur mäßig Betuchte geben große Trinkgelder, wirklich Reiche nie! – das hatte er auch erst lernen müssen) und meldete dann ein Gespräch nach Moskau an.
Erstaunlicherweise klappte es nach wenigen Minuten. Oberst Pujatkin, eben erst ins Bett gekommen, meldete sich mißmutig. Im Hintergrund hörte man die Pujatkina nörgeln. Immer der Dienst! Nie hat man Ruhe! Selbst im Bett schläft der KGB mit! Jeder Mensch hat ein Recht auf Ruhe! Auch ein Oberst vom Sonderdezernat II!
»Ha?!« brummte Pujatkin. »Verdammt, ich schlafe schon! Was gibt es so eilig?!«
»Einen herzlichen Gruß von den Schönen aus Rio! Es stimmt! Die herrlichsten Frauen gedeihen in Rio! Sie blühen mit den Orchideen um die Wette …«
»Boris
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