Die Erbsünde
ihr einen großzügigen Scheck gegeben und sie bei ihrem Bruder gelassen.
Ihr Enkelkind wollte die alte Frau aber doch sehen. Lisa war gerade in die Schule gekommen, und so warteten sie die Winterferien ab, bis Elizabeth mit dem Kind zur Farm fuhr. Der Besuch war keine reine Freude gewesen. Elizabeth hatte sich gelangweilt, die alten Leute das Kind verwöhnt, das sich bald ebenfalls zu langweilen begann. Im nächsten Jahr verbrachten sie die Ferien wieder in Amerika. Auf die Farm kamen sie nie wieder.
»Warum ist sie im Krankenhaus?«
»Gestern abend bekam sie einen Schlaganfall. Wir wollten uns gerade zu Tisch setzen, da klagte sie über Kopfschmerzen, und es wurde immer schlimmer, da dachten wir, das beste wäre, sie legte sich hin …«
»Ja, ja«, unterbrach Deon ungeduldig. »Aber wie geht es ihr denn?«
»Mann, sie ist im Krankenhaus, aber der Arzt äußert sich nicht so recht. Sie ist auf einer Seite gelähmt. Sie kann kaum sprechen. Aber sie hat nach dir verlangt.«
»Ich komme sofort nach Lichtenburg«, versprach Deon.
Es war ihm gelungen, sofort einen Flug zu buchen, und so erreichte er bei Einbruch der Dunkelheit die Stadt und fuhr direkt ins Krankenhaus. Seine Mutter war wach, obwohl man ihr Beruhigungsmittel gegeben hatte. Sie wartete auf ihn, hatte den ganzen Tag auf ihn gewartet.
Elizabeth war zwei Tage später allein mit ihrem Kombiwagen nachgekommen. Es war klar, daß die alte Frau nicht auf die Farm zurück konnte. Sie hatte eine mittelschwere Gehirnthrombose erlitten, und die Prognose war ungewiss, wie ihm der angesichts des berühmten Chirurgen nervöse Landarzt mitteilte. Auf alle Fälle hatte er davon abgeraten, sie jetzt zu transportieren, aber nach der Entlassung aus dem Krankenhaus würde sie intensive Pflege brauchen, und den beiden alten Leuten, bei denen sie bis jetzt gelebt hatte, konnte man eine derartige Belastung nicht zumuten.
Deon hatte Boet angerufen und vorgeschlagen, sich die Verantwortung zu teilen: jeder sollte die Mutter abwechselnd ein halbes Jahr aufnehmen. Boet hatte darauf sehr zurückhaltend reagiert. »Dann nehm' ich sie eben«, sagte Deon schließlich verärgert.
»Das wäre wohl das beste«, erwiderte Boet ungerührt. Und mit unverhohlenem Neid fügte er hinzu: »Du hast ja das schöne, große Haus, da wird sie dir nicht im Wege sein.«
Elizabeth hatte sich wirklich großartig verhalten in dieser schwierigen Zeit. Sie hatten wohl beide ein schlechtes Gewissen, weil sie die alte Frau so lange vernachlässigt hatten, auch schienen sie sich schuldig zu fühlen für das, was ihr vor vielen Jahren angetan worden war und was diese stille, duldsame Frau dazu getrieben hatte, Mann, Heim und Kinder zu verlassen und ein Dasein in Vergessenheit und Einsamkeit zu fristen.
Nun war es Elizabeth, die die vergangenen Sünden sühnen mußte. Leicht war es nicht. Obwohl eine anspruchslose Patientin, war seine Mutter doch sehr hilflos. Sie war im Gästezimmer untergebracht, wo morgens die Sonne schien und von wo aus man den Hafen und das Meer sehen konnte. Sie mußte gebadet und gefüttert werden. Eine elektrische Klingel wurde angebracht, aber es kam vor, daß Elizabeth oder das Dienstmädchen sie nicht hörten, und dann beschmutzte die alte Frau ihre Bettwäsche und wartete, vor Scham grau im Gesicht, bis jemand kam und ihr Bett abzog.
Deon sah, wie Elizabeth unter alldem litt, beobachtete, wie sie zusammenzuckte, wenn die Klingel zweimal in der Stunde gebieterisch schrillte, und wie sie selbst immer schmaler und blasser wurde. Mit Etienne wurde sie barsch und lieblos, und gerade der hätte mit seinen Pubertätsproblemen ein bißchen Verständnis gut brauchen können. Deon versuchte, mit ihr darüber zu sprechen, aber sie reagierte nur bitter und grob. Sie hatten schon lange kein richtiges Gespräch mehr geführt; wer weiß, ob sie es überhaupt noch konnten. Aber sie machten sich weiter keine Gedanken darüber, denn sie führten beide ein ereignisreiches Leben.
Dann löste eines Tages seine Mutter das Problem ganz einfach, indem sie nach der Bibel auf ihrem Nachttisch langte, dabei aus dem Bett fiel und sich den Oberschenkelhals brach. Sie mußte ins Krankenhaus, und Deon wurde sich mit Scham und Entsetzen bewußt, daß er das sofort gehofft hatte, als der Unfall passierte.
Zur Strafe erlegte er sich auf, die ganze Nacht bei ihr zu bleiben. Am nächsten Tag war er nervös und reizbar im Operationssaal, und abends hatte er mit Elizabeth über eine belanglose Kleinigkeit
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