Die Erbsünde
Die Sprechanlage summte diskret, und dankbar stieß er einen Finger auf den Knopf. »Ja?«
»Entschuldigen Sie die Störung, Herr Professor«, sagte Jenny, »Ihre Frau ist am Apparat.«
4
»Deon?« sagte Elizabeth mit schriller Stimme. »Deon?«
»Hallo«, antwortete er.
»Komm bitte nach Hause!«
»Wie bitte?«
»Komm nach Hause!«
»Nach Hause?« Trishs Gegenwart war ihm unangenehm. Er presste den Hörer dicht ans Ohr. »Was ist denn passiert?«
»Bitte komm nach Hause. Sofort.«
»Aber was ist denn los? Irgendwas muß doch sein!«
»Ich kann es dir am Telefon nicht sagen.«
»Herrgott, nun tu doch nicht, als wenn …« Er unterbrach sich.
»Was?«
»Nichts«, murmelte er. »Nun sag endlich, was passiert ist.«
»Genügt es nicht, wenn ich dich bitte, nach Hause zu kommen, wenn ich dich brauche? Kannst du das nicht für mich tun, wenigstens dieses eine Mal?«
Der Funke ihres Zorns sprang auf ihn über. Er beherrschte sich mühsam. Nur keinen Streit. Ausgerechnet heute.
»Ich kann jetzt hier nicht weg. Ich habe einen Patienten bei mir, und anschließend muß ich ins Kinderkrankenhaus, um …«
Sie holte tief Luft. »Patienten! Krankenhaus! Operationen! Kinder! Anderes hören wir nicht von dir! Ist dir eigentlich schon aufgefallen, daß du eigene Kinder hast?«
»Aber, Elizabeth, so beruhige dich doch! Wenn es dringend ist, komme ich selbstverständlich. Aber …«
»Ja! Immer ›aber‹! Weißt du, was? Du kannst mich mal, mitsamt deinen Patienten und Krankenschwestern und deinem Scheißkrankenhaus!«
»Hör mal, willst du mir nicht wenigstens sagen, was geschehen ist?« Allmählich riß ihm die Geduld.
»Scher dich zum Teufel!« Sie hatte aufgelegt.
Deon hielt den Hörer weit von sich ab und sah ihn kläglich an. Zu Trish gewandt sagte er gezwungen lächelnd: »Das war meine Frau.«
Sie sprang auf. »Ich glaube, ich sollte jetzt gehen.«
Er streckte abwehrend die Hand aus. »Nein, bitte, ich …«
Sie blieb fest. »Ich muß wirklich gehen. Und überhaupt, es ist fast zwanzig vor vier. Ich möchte nicht zu spät kommen.«
»Na schön. Ich fahr' dich rüber.« Und um ihr zuvorzukommen, fügte er schnell hinzu: »Ich muß sowieso da vorbei.«
Sie sprachen kaum während der kurzen Fahrt zur Herzklinik. Er dachte etwas beunruhigt an Elizabeths Anruf. Was konnte es bloß sein? Bestimmt nichts Wichtiges, sonst hätte sie es ihm gesagt. Er tröstete sich damit, daß sie dazu neigte, die Dinge zu dramatisieren. Wahrscheinlich hatte es Ärger mit dem Dienstmädchen gegeben. Oder mit Lisa. Ja, das war es sicher. Sie hatte mit Lisa gestritten.
Er bot sich an, Trish in die Klinik zu begleiten, aber sie schüttelte den Kopf. Er war fast erleichtert, sich von ihr trennen zu können.
»Bis morgen dürften wir den Befund von den Kardiologen haben«, sagte er. »Vielleicht könntest du morgen nachmittag um dieselbe Zeit wieder in mein Büro kommen.«
Sie dankte ihm ernst. Als er weiterfuhr, sah er sie im Rückspiegel mit ihrem Sohn am Eingang der Klinik stehen. Sie hatten ihm den Rücken zugewandt.
Der Nachmittagsverkehr verdichtete sich, und es war nach vier, als er das Kinderkrankenhaus erreichte.
Moolman war diensthabender Arzt in der Intensivstation, ein großer, schlampiger junger Mann mit einer Brille, deren Bügel unordentlich mit Leukoplast geflickt waren. Seine Schaufelhände hingen an den Gelenken lose herunter, sein Gesicht trug einen ständig um Verzeihung bittenden Ausdruck. Er war nicht gerade ein Mann, der einem absolutes Vertrauen einflößte.
»Wie steht's?« fragte Deon. Seine Augen huschten über den Oszillographen, die Drainageflaschen, den Urinbehälter, die Fieberkurve. Er registrierte und analysierte die Informationen blitzschnell und zog die Schlüsse.
»Sie war etwas unruhig«, sagte Moolman. »Da hab' ich ihr fünf Milligramm Pethidin gegeben. Jetzt ist sie wieder still.«
Marietje lag mit geschlossenen Augen da. Über Mund und Nase war eine Sauerstoffmaske gestülpt, und ein dünner Schlauch kam aus einem Nasenloch. Deon fühlte ihre Füße. Sie waren warm und gut durchblutet. Zumindest die Zirkulation war in Ordnung.
Deon wandte sich wieder Moolman zu. »Sie haben ihr noch kein Lasix gegeben?«
»Nein, Professor.« Der junge Arzt beobachtete die rote Blutsäule in dem Venenmanometer. Auf der Kurve war der Puls als eine gerade Linie aufgezeichnet: gleichmäßig hundertzweiundzwanzig Schläge in der Minute. Der mechanische Schrittmacher war nicht fähig, sich den
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