Die Erbsünde
Sie hörte ernsthaft zu, ohne ihn zu unterbrechen, ohne den Blick von ihm zu wenden. Als er fertig war, sagte sie nur: »Wann kannst du es machen?«
»Ich weiß es wirklich noch nicht«, erwiderte er in die Enge getrieben. »Es ist noch so vieles unklar. Wir müssen ganz sicher sein, ehe wir anfangen können.«
»Ich will, daß du Giovanni operierst. Aber wie bald wird das sein?«
»Vielleicht in ein paar Monaten. Spätestens im Frühling.«
Sie nickte. »Ich bleibe. Egal, wie lange es noch dauert.«
Sie war jetzt ganz ruhig und distanziert. Aber ihr Gesicht hatte die angespannte Reserve verloren. Es war, als sei es für sie schon Frühling geworden.
Und vielleicht für mich auch, dachte er.
Als sie das Restaurant verließen – er half ihr gerade in den Mantel –, ging eine Frau an ihnen vorbei. Sie blieb stehen, drehte sich nach ihnen um und starrte sie an. Deon brauchte ein paar Sekunden, ehe er Gillian Moorhead erkannte.
Winter
9
Von den Bergen wehte ein heißer Wind. Seit fast einer Woche war ein warmer goldener Tag dem andern gefolgt. Die Menschen hofften zuversichtlich auf den Frühling, aber dieser Wind, der dem heißen, trockenen Atem Afrikas glich, zeigte an, daß das Schlimmste des Winters noch bevorstand.
Deon parkte den Wagen vor dem Krankenhaus und stieg aus. Dieser Wind entnervte ihn. Als er noch kleiner war, hatte sein Vater ihm erzählt, daß er direkt aus dem Rachen der Hölle käme. Und oft genug hatte er, ob zufällig oder nicht, ein Unheil angekündigt.
Er begann mit der Morgenvisite. In der schwülen Witterung fühlte er sich in seiner Kleidung beengt. Seine Gereiztheit entlud sich über dem Personal, er suchte nach Fehlern, fand sie, erteilte häufige und strenge Rügen. Die Entdeckung, daß ein Patient, dem er am Vortage eine künstliche Mitralklappe eingesetzt hatte, noch nicht wieder bei Bewußtsein war, machte das Maß voll. Wütend fuhr er den jungen Assistenzarzt an, der Dienst in der Intensivstation hatte.
»Was, zum Teufel, geht hier vor? Warum haben Sie mir nicht Bescheid gesagt?«
Der junge Mann stammelte eine unverständliche Antwort, was in Deon noch helleren Zorn entfachte. »Was nuscheln Sie da? Nehmen Sie doch die Zähne auseinander, Mann!«
Robby trat sanft vermittelnd dazwischen und versuchte, eine Erklärung abzugeben.
»Vielen Dank für die Belehrung«, fuhr Deon ihn an, ehe er noch zu Ende gesprochen hatte.
»Du kannst doch diesen jungen nicht dafür verantwortlich machen«, erwiderte Robby beherzt.
Verlegenes Füßescharren im Hintergrund, man sah zu den Monitoren, den Fieberkurven an der Wand, zur Decke, nur nicht zu Deon und Robby.
Gekränkt gab Deon zurück: »Vielleicht nicht. Aber er hätte mich wenigstens verständigen können. Oder wollte er mich anrufen, wenn der Patient tot ist?«
Robby zuckte die Achseln. »Uns bleibt sowieso nichts übrig, als abzuwarten und zu hoffen, daß er durchkommt. Keiner kann mehr tun, nicht einmal du.«
Der Angriff war so unmissverständlich wie unerwartet. Es herrschte beklommenes Schweigen. Deons Augen verengten sich zu Schlitzen. »Solange ich in dieser Abteilung etwas zu sagen habe, will ich alles wissen, was darin passiert. Alles. Ist das klar?«
Robby wandte sich achselzuckend ab. Die Visite wurde unter unbehaglichem Schweigen fortgesetzt.
Als er das Krankenhaus verließ, war Deons Zorn längst wieder verraucht. Statt dessen empfand er Scham und Bedauern. Er sollte sich wirklich abgewöhnen, vor anderen, besonders Patienten, gegen sein Personal ausfallend zu werden. Und was war schuld daran? Das Wetter? Die Umstände? Sein Temperament?
Es war aber nicht mehr zu übersehen, daß sich in seine lange und unkomplizierte Freundschaft mit Robby ein feindseliger Ton eingeschlichen hatte. Robby war nicht der Typ, Ehrerbietung zu zeigen, aber er hatte Deon bisher immer als unbestrittenen Leiter der Herzabteilung anerkannt. In letzter Zeit jedoch hatte er eine Neigung gezeigt, Deons Entscheidungen und Anweisungen zu kritisieren.
Heute Morgen hatte Robby einen wesentlichen Fehler gemacht, indem er sich offen auf die Seite der Junioren schlug. Das konnte nur Zwist und Misshelligkeiten geben.
Deon stieg langsam die Treppen zu seinem Büro hinauf. Er fühlte sich alt und müde. Sein alter Traum, sein Ideal von Treue und Kameradschaft, begann abzubröckeln.
Das macht die Hitze, stöhnte er, die Hitze.
Um eines mußte er sich kümmern: mehr Personal. Guido und Carrere, der Franzose, hatten plötzlich gekündigt und
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