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Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barnard Christiaan
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es in den Schlitz. »Licht aus!« rief er.
    Die Wintersonne, die durch die hohen Fenster fiel, war ihm noch zu kräftig. Er flatterte nervös mit den Händen, während die Rollladen heruntergelassen wurden. Schließlich war er zufrieden mit dem dämmrigen Licht und schaltete den Projektor ein. Das Dia stand auf dem Kopf, und aus den hinteren Reihen kam ein Kichern, das aber sofort verstummte, als er sich wütend umdrehte. Er berichtigte sein Versehen, sein steifer Rücken drückte Entrüstung aus.
    »Hier sehen wir nun ein Beispiel angeborener Missbildung«, sagte Professor Snyman. »Sie werden wissen, daß etwa vier Prozent aller Säuglinge mit Missbildungen geboren werden. Es gibt aber wenige, die nicht durch Chirurgie gerettet werden könnten. Ohne Behandlung kann ihnen jedoch meist nicht geholfen werden. Das trifft besonders auf fünf Gruppen zu.«
    Er ging zur Leinwand, und sein riesiger Schatten fiel über das Bild. Mit dem Rücken zur Klasse blieb er im Lichtkegel des Projektors stehen, als genieße er es, für Momente überlebensgroß zu sein. Dann trat er zur Seite und klopfte gegen die Leinwand. »Darmverschluss«, sagte er. »Bis vor einem Jahr war die Sterblichkeitsrate hier in Kapstadt hundert Prozent.« Er machte eine Pause und nickte bekräftigend. »Hundert Prozent!« wiederholte er ehrfürchtig. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und der hereinfallende Lichtstreifen ließ die Abbildung auf der Leinwand verblassen. Professor Snyman wirbelte auf dem Absatz herum, um den Eindringling zu mustern. Eine Krankenschwester führte ein kleines Mädchen an der Hand herein. Das Kind trug einen leuchtendroten Bademantel. Es gaffte mit offenem Mund um sich und sah hilfesuchend zu der Krankenschwester auf.
    »Ich bin noch nicht soweit, diesen Fall zu demonstrieren«, sagte der Professor verdrießlich. »Aber warten Sie trotzdem hier. Und versuchen Sie bitte, das Kind stillzuhalten.«
    Philip erhob sich und sagte leise zu Deon: »Darf ich bitte vorbei?«
    Deon sah verdutzt auf. Die Inder und die anderen Farbigen waren ebenfalls aufgestanden, sie warteten hinter Philip. Dann wußte er auf einmal, was los war. Die Patientin war eine Weiße. Er schwang die Beine seitwärts und beobachtete peinlich berührt, wie sie an ihm vorbeigingen und durch die Hintertür verschwanden. Grollend sah er die Krankenschwester und das ernst dreinblickende weiße Kind an.
    »In den nächsten Vorlesungen«, fuhr Professor Snyman fort, »werden wir einige Missbildungen in allen Einzelheiten besprechen und lernen, wie der Chirurg eingreifen kann, um die Mängel der Natur zu berichtigen. Bevor wir schließen, möchte ich Ihnen aber noch einen interessanten Fall zeigen.« Snyman winkte die Schwester mit dem Kind heran. »Wenn wir bedenken, wie kompliziert der Zeugungsprozeß ist, kann man von einem Wunder sprechen, wenn man die Ergebnisse in ihrer Vollkommenheit betrachtet. Manchmal jedoch – und dieses Kind trägt den Beweis in sich – spielt die Natur uns einen Streich.«
    Das Kind und die Schwester betrachteten ihn trübselig. Er faßte die Hand der Kleinen.
    »Terry ist sechs Jahre alt. Kürzlich entdeckte ihre Mutter einen Knoten am Unterleib. Die ärztliche Untersuchung ergab, daß es sich um eine Eierstockzyste handeln müsse. Diese Röntgenaufnahme hier zeigt uns aber, was es wirklich ist.«
    Er drückte auf einen Knopf, die Scheibe flackerte auf, schimmerte dann milchigweiß. Professor Snyman nahm eine Platte aus dem Umschlag.
    »Mister – eh – Van der Riet«, rief er.
    Deon war gleich hellwach. Hatte der alte Luchs bemerkt, daß er nicht aufgepasst hatte? Er stand langsam auf.
    Der Professor winkte energisch. »Kommen Sie, Mann. Kommen Sie vor. Man wird Sie schon nicht auffressen. Kommen Sie nach vorn, und sagen Sie den Kollegen, was Sie sehen!«
    Deon stieg widerstrebend die Stufen hinunter und ging nach vorn. Die Röntgenplatte zeigte die kleine Rundung des Beckens und den Schatten des Rückgrats. Da war etwas. Er sah näher hin und biss sich auf die Unterlippe. Da. Rechts unten im Becken. Mit wachsendem Grauen starrte er auf die Röntgenplatte.
    Der Professor wurde ungeduldig. »Machen Sie schon, sagen Sie den Leuten, was Sie sehen!«
    »Hier«, sagte Deon. »Im Becken. Zähne. Ich sehe Zähne!«

2
    Das Telefon schrillte endlos am anderen Ende der Leitung.
    Nahm denn keiner ab? Er stellte sich vor, wie es in einem leeren Haus unaufhörlich schellte. Irgendwo hatte er gelesen, daß das Schellen vom Amt kam und lediglich

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