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Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barnard Christiaan
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sich verändert. Deon sah ihn plötzlich mit den Augen eines Unbeteiligten. Das Gesicht mit den tiefliegenden Augen, stets so hart und entschlossen, war mager geworden, die spitzen Knochen stachen deutlicher hervor, und die Nase erinnerte an den gebogenen Schnabel eines Raubvogels.
    Deon nahm all das in sich auf und dachte: Mein ganzes Leben lang war er für mich wie ein unverrückbarer Gegenstand mit der Bezeichnung ›Vater‹. Jetzt, da ich ihn wie ein Außenstehender betrachte, muß ich feststellen, daß er im Grunde ein Fremder für mich ist, ein dunkles, verriegeltes Haus, das ich nur von außen kenne und in dessen schattenhaftes Innere ich nur ab und zu einen flüchtigen Blick tun durfte.
    Johan Van der Riet strauchelte leicht, als sie sich den massiven klassischen Säulen näherten, die die Tür zur Aula flankierten. Deon nahm ihn beim Arm, aber sein Vater schüttelte die helfende Hand ab und runzelte ärgerlich die Stirn. Sein Bruder Boet, der an der anderen Seite ging, sah die Geste und grinste zu Deon hinüber, als wolle er sagen: Das hätte ich dir gleich sagen können, inzwischen müsstest du doch wissen, wie man mit Vater umgeht, selbst an einem Tag wie diesem.
    Sie stiegen schweigend zum Eingang der Aula hinauf. Einige Leute gingen schon hinein, aber die meisten standen in Grüppchen auf den Stufen oder an den Säulen: Promovierte, die in ihrem neuen Talar befangen wirkten; deren Verwandte, mit unverhohlenem Stolz auf den Gesichtern; Universitätsangestellte, die mit gleichgültigen Mienen hin und her liefen und denen man ansah, daß sie die Feier am liebsten schon hinter sich gehabt hätten.
    »Wollt ihr schon reingehen?« fragte Deon. Er sah auf seine Uhr. »Es fängt erst in zwanzig Minuten an.«
    »Wir warten noch ein bißchen hier draußen«, sagte sein Vater. Er schob einen Finger unter den Kragen, nahm den Hut ab und wischte sich umständlich mit dem Taschentuch übers Gesicht. Er merkte, daß Deon ihn beobachtete, und sagte, als müsse er sich verteidigen: »Es ist heiß hier in diesem Kapstadt. Heißer als in der Karru.«
    »Ja, es ist wirklich sehr schwül heute«, erwiderte Deon höflich.
    Boet betrachtete die Mädchen in ihren enganliegenden Kleidern. Plötzlich prustete er los. »Sieh mal, wer da kommt: Flip und die gute alte Aia Mieta.«
    Die ältliche farbige Frau an Philips Arm schien nervös und unsicher, als fühle sie sich fehl am Platz.
    »Wie die angezogen ist«, sagte Boet geringschätzig, »Hottentott bleibt Hottentott.«
    Philips Mutter schien den Anlass allerdings falsch zu interpretieren. Ihr schwingender Rock hätte vor fünf Jahren bei einem Ball Furore gemacht. Der ausladende Strohhut, passend für ein Gartenfest, stammte aus einer noch früheren Zeit. Inmitten der enganliegenden Kappen der anderen Damen wirkte er zum Schreien komisch. Die Leute starrten und verbargen hier und da hinter der Maske des Mitleids ein Lächeln der Verachtung.
    Deon war wütend. Philip kam langsam die Treppe hoch, die verschreckte alte Frau in dem wunderlichen Aufzug an seiner Seite. Du eigensinniger Idiot, dachte er. Das hättest du ihr ersparen können. Warum achtest du nicht darauf, daß sie vernünftig angezogen ist? Statt dessen läßt du zu, daß sie sich lächerlich macht.
    »Es ist ihr gutes Recht, hier zu sein!« knurrte er Boet an.
    Der starrte Deon ungläubig an und wurde langsam rot. Er öffnete den Mund, als wolle er etwas erwidern, brachte aber kein Wort heraus.
    Philip war mit seiner Mutter auf halber Treppe angelangt. Plötzlich zögerte sie, fast an derselben Stelle, wo eben noch Johan Van der Riet gestrauchelt war. Zum ersten Mal sah Philip auf. In seinem Gesicht mischten sich verlegene Scham und aufsässiger Trotz. Er schien sagen zu wollen: Meinetwegen könnt ihr euch alle zum Teufel scheren.
    Schlagartig wußte Deon Bescheid.
    Das rüschenbesetzte Ballkleid und der altmodische Hut waren abgelegte Sachen, die eine gedankenlose Gönnerin ihr gnädig überlassen hatte; die Farbigen liebten doch so was – Schleifen und Seidenrosen … Es war ihr bester Staat, und Philip war zu stolz, es ihr auszureden.
    Ehe er sich's überlegt hatte, war Deon schon die Stufen hinunter; er spürte die verblüfften Blicke der anderen im Rücken. Philip sah ihm entgegen, als wolle er ihm eine Frage von größter Wichtigkeit stellen.
    Seit dem Tag in der Mensa hatten sie kein Wort miteinander gewechselt; sie hatten sich bewußt gemieden, selbst in der erzwungenen Gemeinschaft des Hörsaals.

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